Politik

Vor Wahlen kommt die Politik gern in die Wechseljahre

Durch den Wechsel einer Grünen zur CDU sind die Mehrheiten in Hannover durcheinander gekommen. Das kennt man auch in Oldenburg.

Politiker, die vor Wahlen in die Wechseljahre kommen, kennen auch die Oldenburger. Nichtnominierungen sind häufig der Anlass.
Foto: Anja Michaeli

Oldenburg (Michael Exner) Wenn durch das Land die Emotionen kochen, weil in Hannover eine Grüne zu den Schwarzen zieht und so die Landtagsmehrheit durcheinanderbringt, könnte das im Nordwesten eigentlich eher gelassen registriert werden. Dass die Politik vor Wahlen in die Wechseljahre kommt, ist in der Region gewissermaßen Erfahrungssache. Und hier, speziell in der Stadt Oldenburg, darf auch als gesicherte Erkenntnis gelten, dass Nichtnominierungen von Mandatsträgern bisweilen schnell und direkt auf deren Gewissen durchschlagen.

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Da war zum Beispiel Hans-Ludwig Freytag. Der Professor aus Großenkneten war 1982 für die FDP in den Landtag gekommen. Als ihm die Partei 1983 bei der vorgezogenen Bundestagswahl die Kandidatur verwehrte und später aus dem Bezirksvorstand warf, ging er mitten in der Landtagsperiode zur CDU. Die verschaffte ihm zwar 1987 die erhoffte Bundestagskandidatur, zum Sprung nach Bonn reichte es indes nicht. Freytag starb Anfang 1993 an den Folgen eines Jagdunfalls.

Ein neues Mandat blieb auch für den Sozialdemokraten Werner Rettig Wunschtraum. Der saß von 1986 bis 1994 im Landtag und war nebenbei eine Zeit lang Vorsitzender der Oldenburger SPD-Ratsfraktion. Rettig wäre gern Oberbürgermeister geworden, als Horst Milde nach dem Wahlsieg von Gerhard Schröder 1990 zum Landtagspräsidenten aufrückte. Doch die Partei hatte anders disponiert. Rettig entzweite sich mit den Genossen und wurde in der Folge wegen abweichenden Stimmverhaltens als Fraktionsvorsitzender abgewählt. Er verließ die SPD (was für einen Moment die rot-grüne Landtagsmehrheit fraglich machte), gründete eine Wählergemeinschaft, flirtete kurz mit der Statt-Partei und landete zum Ausklang der Ratsperiode (und seiner politischen Laufbahn) kurz in der CDU-Fraktion.

Dort beschloss auch Rettigs Ex-Fraktionskollege, der frühere Bürgermeister Rolf F. Müller, seine politische Karriere. Auch der wäre Anfang der 90er Jahre gern Oberbürgermeister, zumindest OB-Kandidat geworden. Doch die Partei (siehe Rettig) wollte das nicht, sondern zog Dieter Holzapfel vor. Müller geriet in interne Konflikte – und als die SPD ihn nach einem Streit um die geplatzte Verpackungssteuer von der Liste für die 1996er Ratswahl streichen wollte, nahm er vorher seinen Abschied. Die mit der heißen Nadel gestrickte Listenverbindung als Einzelbewerber mit der CDU war zwar nicht erfolgreich, fünf Jahre später aber kehrte Müller für die Union in den Oldenburger Rat zurück.

Dieser Weg blieb Christdemokratin Daniela Pfeiffer versperrt. Die hatte 2003 den Landtagswahlkreis im Oldenburger Stadtsüden direkt gewonnen, war aber parteiintern bei der erneuten Nominierung fünf Jahre später gescheitert. Als ihr Stadtbezirk sie auch noch auf der Liste für die nächste Kommunalwahl zurückgestuft hatte, entdeckte die Ratsfrau wenige Monate vor dem Wahltermin ihre Liebe zur FDP. Bei den Liberalen gelang ihr dann allerdings weder die Rückkehr in den Rat, noch in den Landtag.

Ein Kurzpraktikum absolvierte in jener Periode Alexander Broel. Der war als Nachrücker für die CDU in den Rat gekommen und ging schon nach 14 Monaten zu den Grünen. Er nannte politische Gründe für den Wechsel, war aber zuvor bei der Listenaufstellung für die nächste Wahl in seinem Stadtbezirk nach verlorener Kampfabstimmung nur auf Platz 3 gelandet.

Mehr Aufsehen erregte einst Franz Norrenbrock, der 2001 eine bis heute andauernde Wanderung antrat. Einst für die Christdemokraten in den Oldenburger Rat gezogen, verkrachte sich der Polizist mit dem CDU-Chef (und späteren Wissenschaftsminister) Lutz Stratmann, weil er dem den Spitzenplatz auf der Stadtbezirksliste für die Ratswahl abtreten und auch noch eine Frau ohne Parteibuch an sich vorbeiziehen lassen musste. Norrenbrock verließ die CDU, übernahm eine darauf nicht vorbereitete Bürgerliste, die in der Folge mehrfach ihren Namen änderte, wechselte wieder die Fronten und sitzt noch heute für eine Wählergemeinschaft im Rat, deren Zweck wohl er allein durchblickt.

Das waren längst nicht alle Wechsel in dieser Zeit. Da gab es etwa Rainer Degener und Christa Ahlers, die zum Ende der Ratsperiode kurz nacheinander die SPD verließen, nachdem die Partei sie nicht mehr für die Ratswahl 2001 nominiert hatte (und Degener zudem als Landtagskandidatenkandidat gescheitert war). Beiden bescherte der Austritt eine öffentliche Aufmerksamkeit, die sie während ihrer Ratsarbeit hatten entbehren müssen. Oder Manfred Drieling, der nach Rangeleien in seinem CDU-Stadtbezirk um die besten Listenplätze kurz vor der Wahl 2006 zu einer Wählergemeinschaft ging und für die wieder in den Rat kam (aber erfolglos bei den Freien Wählern zum Landtag kandidierte). Nachdem die Gruppe sich mehrfach gehäutet hat, sitzt Drieling heute wieder für die CDU im Rat. Mal änderten die Wechsel Mehrheiten, mal nicht. Die meisten Leute aber gingen erst (im Übrigen gern mit Mandat), als sie in der alten Partei ihre Zukunft hinter sich hatten – und zu einem Karrieresprung hat es in keinem Fall gereicht.

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1 Kommentar

  1. Manfred Murdfield
    11. August 2017 um 14.41 — Antworten

    Michael Exners unterhaltsame Auswahl von einem (NWZ) Arsenal Oldenburger individueller Polit- Pleiten, Pech und Pannen in gern gelesenen Ehren, aber wer die Parteiendemokratie will, für den muss doch eine wechselhafte Widersprüchlichkeit normal vorkommen. Persönliche Eitelkeiten, eine nicht wirklich vermittelbare Vorstellung gesellschaftlicher Zusammenhänge, oder ein unverstandenes oder nicht umsetzbares eigenes politisches „Selbstverständnis“ passen eben nicht immer in ein Parteiprogramm und den damit verbundenen Regierungswillen .Nicht nur bei der Stadtpolitik stehen allerdings auch mal Platzhirsche im Weg, die Ziel und Möglichkeiten beschwerlich machen. Ob, wann und wo dann die Politik „menschelt“, balanciert zwischen Entscheidungsmöglichkeiten und Entscheidungszwängen, ob es gut ist oder nicht, kann die Geschichte, (oder Exners Archiv) allerdings bevorzugt relativ, entscheiden

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