Politik

Kommentar: Trotz Krise kein Krisenhaushalt

Das Rennen um die Macht im Rathaus hat begonnen.

Das Rennen um die Macht im Rathaus hat begonnen.
Foto: Anja Michaeli

Oldenburg (Michael Exner) Was der Rat am Montagabend mit einer wiederbelebten rot-grünen Mehrheit beschließen wird, ist ein Haushalt in der Krise, aber kein Krisenhaushalt. Im Gegenteil: Die Lage ist weit besser als die Stimmung. Interessanter als das eigentliche Paket sind die Linien, die dahinter sichtbar werden. Sie weisen in den Wahlkampf.

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Die Zahlen sprechen für sich: Als die Verwaltung im Oktober ihren Etatentwurf für 2021 vorlegte, plante sie mit Erträgen von 622 Millionen Euro und (bei 611 Millionen Aufwendungen) einem Überschuss (in früheren Jahren ein Fremdwort) von 11 Millionen. Dass das Volumen in den paar Monaten auf 634 Millionen aufgeplustert wurde, hat zwei Ursachen: die 9 Millionen für das Impfzentrum, ein durchlaufender Posten, bei dem das Land zahlt, der aber bei der Stadt verbucht wird – und eine „Sonderausschüttung“ der EWE von 2,3 Millionen, die auf eine bislang öffentlich nicht kommunizierte Dividendenerhöhung des Energieversorgers zurückgeht. Bei mittlerweile 622,5 Millionen Aufwendungen erwirtschaftet dieser Haushalt einen Überschuss von 11,5 Millionen – und da sind die 1,7 Millionen zusätzlicher Ausgaben mit dem Schwerpunkt Klimaschutz schon verbucht, die SPD und Grüne reingeschrieben haben. Im Hintergrund kündigt sich noch eine frohe Botschaft an: Der bald abzurechnende 20er Haushalt verzeichnet aktuell einen Überschuss von 40 Millionen.

Angesichts dieser Entwicklung kann man der neuen/alten Mehrheit kaum einen Vorwurf machen, wenn sie ein paar rot-grüne Tupfer über das Haushaltspapier streut. Da kennt man in dieser Stadt durchaus Anderes. Kritisch höchstens die 16 neugeschaffenen Stellen, die eine halbe Million kosten – jedes Jahr, auch wenn die Zeiten irgendwann mal wieder schlechter werden.

Politisch relevanter als die Zahlen sind zwei Punkte: Die Enthaltsamkeit der CDU, die in den vergangenen drei Jahren mit der SPD den Haushalt beschlossen hatte, und das auf den ersten Blick überraschende Teilzeitbündnis zwischen SPD und Grünen. Deren Beziehung war in dieser Ratsperiode eher von beiderseitigem Frust gekennzeichnet.

Die von der CDU angeführten finanziellen Einwände entpuppen sich angesichts der Zahlen als Vorwände. Da geht’s um ganz andere Rechnungen. Die Union möchte nicht mit einer Partei ein Haushaltsbündnis schließen, deren Oberbürgermeister sie im Herbst aus dem Amt kippen will. Das ist nachvollziehbar, aber überflüssig. Kaum jemand wird sich im September in der Wahlkabine daran erinnern, wer mit wem im Januar einen Haushalt beschlossen hat, geschweige denn sein Kreuz auf dem Stimmzettel davon abhängig machen. Zudem verübelt die CDU der SPD noch immer, dass die sich mit dem durchschaubaren Trick der Personalratseinbindung erst mal aus dem gemeinsam beschlossenen Organisationsgutachten zur Verwaltungseffizienz verabschiedet hat. Auch das ist nachvollziehbar, aber zum Über-den-Tisch-ziehen gehören immer zwei: einer, der zieht, und einer, der sich ziehen lässt. Und wer mit Sozialdemokraten über die Durchleuchtung (wahlweise Durchforstung) des Öffentlichen Dienstes verhandeln will, hat die Geschichte von der Trockenlegung des Teiches und den Fröschen nicht begriffen.

Die Grünen wiederum haben sich im Wahljahr offenbar darauf besonnen, dass die Schnittmengen mit der SPD doch größer sind als mit der CDU – sieht man mal ab von vorübergehenden schwarz-grünen Flirts wie beim (vergeblichen) Kampf gegen das Einkaufszentrum am Schlossplatz oder dem (gleichfalls vergeblichen) Theater um eine Bahnumfahrung. In beiden Fällen folgte Katerstimmung.

Was Grüne und SPD in den vergangenen Jahren hauptsächlich getrennt hat, war neben grünen Animositäten gegen den SPD-Oberbürgermeister Jürgen Krogmann die Verbindungsstraße zwischen Nord und West über den neuen Stadtteil auf dem alten Fliegerhorst. Die aber ist seit dem vergangenen Jahr beschlossene Sache. Angesichts einer kompakten und in diesem Punkt grundsätzlich sehr großen Ratsmehrheit gegen sie haben die Grünen eingesehen, dass sie hier ein totes Pferd reiten und sind (der alten Indianerweisheit folgend) abgestiegen – was nicht ausschließt, dass sie nach den Kommunalwahlen im September mit dann möglicherweise anderen Mehrheitsverhältnissen Wiederbelebungsversuche unternehmen. Und was die OB-Frage betrifft: Die Grünen mögen Krogmann zwar noch immer nicht, aber der CDU-Kandidat Ulrich Gathmann hat bei ihnen auch nicht gerade überbordende Begeisterung ausgelöst, so dass Rücksicht nicht nötig ist.

Wenn – wie in Oldenburg erstmals seit 15 Jahren – die Wahlen von Oberbürgermeister und Rat zusammenfallen, gilt ohnehin das alte Fallada-Motto: Jeder stirbt für sich allein.

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