Kommentar: Die CDU und ihre Selbstverzwergung

Wer hat die Nase vorn? Blick in die Wahlzentrale bei der vorigen Oberbürgermeisterwahl.
Foto: Anja Michaeli / OOZ Archiv
(Michael Exner) Die Entscheidung der Oldenburger CDU, bei der Oberbürgermeisterwahl im Herbst 2026 auf einen eigenen Kandidaten zu verzichten und stattdessen den Grünen Jascha Rohr zu unterstützen, ist kein Aufbruch in glorreiche neue Zeiten, sondern schlicht und ergreifend ein Akt der Selbstverzwergung. Den Nutzen davon haben allein die Grünen, denen auf ihrem Weg zur prägenden Kraft in der Stadtpolitik ein weiterer Coup gelungen ist. Chapeau.
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Was aber der große Plan des CDU-Vorstandes hinter dem Vorschlag ist, weiß allein der Vorstand – und hoffen wir mal, dass zumindest er es weiß. Die CDU wird (wenn alles so bleibt) im nächsten Jahr zum vierten Mal in Folge mit einem Kandidaten ohne Parteibuch in eine OB-Wahl gehen. Das hat nur einmal (beim Auftakt 2006) funktioniert – und das auch nur, weil eine unheilige Allianz aus CDU, Grünen und Linken auf einer emotional aufgeheizten Anti-Schlosshöfe-Welle den Ex-Grünen Gerd Schwandner ins Rathaus trug. Das eindimensionale Zweckbündnis platzte wenige Wochen nach der Wahl im Streit über das Einkaufszentrum, und das schwarz-grüne Projekt (das einer Karrierephantasie des damaligen Parteivorsitzenden und Ministers Lutz Stratmann entsprungen war) endete in einem schwarzen Desaster: Die Union verlor bei den nächsten Wahlen die Position als zweitstärkste Ratsfraktion an die Grünen, Stratmann Landtagswahlkreis, Ministeramt und später (vorgeblich freiwillig) auch den Parteivorsitz Zur Nachahmung nicht zwingend empfohlen. Die folgenden OB-Wahlen (2014 und 2021) gingen mit Parteibuchlosen glatt verloren, bei der 21er mussten die Christdemokraten sogar das Ticket für die Stichwahl den Grünen überlassen.
Häufig wird in einem solchen Fall vor einer Wahl das Ideal des Fachmannes beschworen, der über dem Parteienstreit schwebt und allein das Wohl der Kommune im Auge hat. Das war in Oldenburg schon beim ersten (und letzten) CDU-Oberbürgermeister, dem Verwaltungsjuristen Jürgen Poeschel (1996-2001) kaum mehr als eine unfromme Mär und funktioniert heute vielleicht noch auf dem flachen Land, aber kaum in einer Großstadt. Das Problem des fehlenden Parteibuchs erschließt sich bisweilen erst auf den zweiten Blick. Wahlen werden nicht nur vom Mann oder der Frau an der Spitze gewonnen, sondern auch durch den Einsatz vieler Mitglieder: von denen, die Plakate kleben, bei Wind und Wetter Info-Stände betreiben und sich beim unermüdlichen Haustür-Marathon oft genug beschimpfen lassen müssen. Wie es um die Motivation derjenigen aussieht, die Wahlkampf für jemanden machen sollen, der sich nicht mal per Parteibuch zu ihrer Gemeinschaft bekennen mag, ist unschwer vorstellbar. Angesichts all dieser Erfahrungen nun ganz auf einen eigenen Kandidaten zu verzichten und stattdessen die Konkurrenz zu unterstützen, kann man auch Harakiri nennen.
Zugunsten des Vorstandes lässt sich allenfalls vorbringen, dass der Andrang für OB-Kandidaturen in Oldenburg seit längerem begrenzt ist. Eine Erfahrung, die auch die Grünen schon gemacht haben. Die Stadt hat nicht den allerbesten Ruf: weil sie anfangs ihre Oberbürgermeister regelmäßig nach einer Periode abgewählt hat, weil auch einigen Dezernenten nur eine Amtszeit beschieden war, und weil der Umgangston in einem parlamentarisierten Großstadtrat nun mal nicht vom Feinsten ist. Und was da jetzt so bei der Union in Sachen Kandidatur vorgesungen hat: die Ex-Baudezernentin Gabriele Nießen etwa (die auch bei den Grünen vorstellig wurde) oder die ehemalige O1-Chefin Wiebke Schneidewind – na ja, über die Qualifikation der Damen für die Rathausspitze deckt man besser das Mäntelchen der Barmherzigkeit. Trotz alledem, die Partei stand bei der Suche (noch) nicht unter Zeitdruck.
Im Wahlkampf wird die Union vor einem weiteren Problem stehen. Geht es um eine reine Personenwahl, hält sich der Interessentenkreis in Grenzen. 2014, als erstmals ein OB ohne parallele Ratswahl bestimmt werden musste, gab es gerade mal ein Trio. 2021, als nach fünfzehn Jahren wieder gleichzeitig ein Rat gewählt wurde, fand sich ein Sextett (2006 waren es fünf). Das liegt daran, dass (neben dem Auftritt der unvermeidlichen Pausenclowns) kleinere Parteien und Gruppierungen die zahlreichen Podiumsrunden gern zur Selbstdarstellung nutzen, die ihnen bei der Ratswahl stimmenmäßig zupass kommen soll. Die CDU hat in der jüngeren Vergangenheit unter dem neuen, stark verjüngten Vorstand ohnehin in der Stadt die Wahrnehmbarkeitsschwelle tangiert – von oben. Wenn sie jetzt auch noch bei diesen Runden nicht als eigenständige Kraft auftritt, wird das ihre Attraktivität kaum steigern.
Wenn der Parteivorsitzende in seiner Mitglieder-Mail die Entscheidung als Signal „für Aufbruch, für Bereitschaft zur Erneuerung, für den Anspruch, Verantwortung zu übernehmen und Zukunft aktiv zu gestalten“ preist, von „gemeinsam neu denken“ spricht und über „zukunftsgewandte, sozialökologische Stadtentwicklung“ philosophiert, dann ist das nichts weiter als pseudopolitisches Palaver aus Uni-Seminaren. In der Politik-Praxis vor Ort geht es um eher Handfestes – und da stehen CDU und Grüne üblicherweise in verschiedenen, eher gegensätzlichen Lagern: Die CDU ist für die Fliegerhorst-Straße, die Grünen sind dagegen; die CDU möchte ein neues Stadion, die Grünen möchten nicht, die CDU hat Front gegen eine Baumschutzsatzung gemacht, welche die Grünen mit der SPD gerade im Rat beschlossen haben. Die Beispiele lassen sich vermehren, denkt man an Verkehr oder Schulpolitik. Und wie soll sich eigentlich bis zur 26er Wahl die CDU-Fraktion verhalten, wenn sie im Rat gegen die grün-rote Politik Front macht und anschließend bei der OB-Wahl einen Kandidaten unterstützen soll, der für den grünen Teil dieser Politik steht? Wie soll das gehen?
Oder besser: geht’s noch?
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