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Tatort Niedersachsen: „Das verschwundene Kind“

Der nächste Lindholm-Tatort wird am 3. Februar ausgestrahlt (von links): Konstantin Kröning (Kamera), Franziska Buch (Regie), Iris Kiefer (Produzentin), Christian Granderath (Redaktion), Maria Furtwängler, Daniel Donskoy und Florence Kasumba.

Der nächste Lindholm-Tatort wird am 3. Februar ausgestrahlt (von links): Konstantin Kröning (Kamera), Franziska Buch (Regie), Iris Kiefer (Produzentin), Christian Granderath (Redaktion), Maria Furtwängler, Daniel Donskoy und Florence Kasumba.
Foto: Christine Schroeder / NDR

(Achim Neubauer) Nachdem Charlotte Lindholm in ihrem letzten Fall entscheidenden Anteil daran hatte, dass der unschuldige Hauptverdächtige Selbstmord begeht, ist sie nun nach Göttingen versetzt worden – strafversetzt. Am Sonntag, 3. Februar, strahlt die ARD den Tatort „Das verschwundene Kind“ aus, der an die Ereignisse des Vorgängerfilms anschließt.

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Widerwillig beginnt Kommissarin Lindholm (Maria Furtwängler) ihren Dienst in der südniedersächsischen Universitätsstadt; „in zwei Wochen bin ich wieder weg“. Hier trifft sie auf den launigen Kriminalrat Liebig: „Das ist Frau Lindholm, LKA-Praktikantin im Praxismodul“ und Hauptkommissarin Anaïs Schmitz. Diese nun steht in Sachen mangelnder Teamfähigkeit ihrer Kollegin um nichts nach. Beide ermitteln nebeneinander, treffen kaum Absprachen, reden zeitweise nicht einmal miteinander und begegnen sich in greifbarer Geringachtung. In der von Florence Kasumba dargestellten Göttinger Hauptkommissarin findet Charlotte Lindholm tatsächlich ihre Meisterin. Zwei Alphatiere, die ungebremst aufeinander zu steuern, bis es dann tatsächlich kracht. Nicht wirklich gelungen, das und wie ein kurzes Gespräch in der 70. Minute des Films den Anlass dafür geben soll, sich nun zusammenzuraufen. Völlig ansatzlos öffnet die eigentlich so verschlossene Schmitz der Kollegin einen tiefen Blick in ihre verletzte Seele („Ich will aber nicht drüber reden.“) und sogleich ziehen beide an einem Strang.

So viel Raum nimmt sich der Film für das Aufeinandertreffen der beiden, dass der eigentliche Fall ein wenig in den Hintergrund zu geraten droht: Julija Petkow (Lilly Barshy) leidet unter starken Unterleibsschmerzen. Das 15-jährige Mädchen ist mit der Situation völlig überfordert und versteht nicht, was mit ihr geschieht. Sie ruft ihren geliebten Stiefbruder Nino zur Hilfe (Emilio Sakraya). Wenig später findet der Schulhausmeister eine blutverschmierte Umkleidekabine, in der die Kriminalpolizei Spuren einer Geburt sichern kann. Die beiden Kommissarinnen ermitteln nun die nicht ganz einfachen Familienverhältnisse des Mädchens, das offensichtlich die Schwangerschaft gar nicht bemerkt hatte. Verdächtige sind schnell ausgemacht: Vertrauenslehrer Grisch und Julijas Vater geraten unter Verdacht. Eine Zeichnung von Julijas kleiner Schwester Polly (zufällig gemalt bei einem Verhör im Polizeipräsidium) bringt dann die Ermittlerinnen auf die richtige Spur.

Emilio Sakraya (Nino) und Lilly Barshy (Julija) im Tatort „Das verschwundene Kind“.

Emilio Sakraya (Nino) und Lilly Barshy (Julija) im Tatort „Das verschwundene Kind“.
Foto: Christine Schroeder / NDR

Nun versucht sich also auch der NDR an der Kunst des horizontalen Erzählens. Genau betrachtet an einen zweiten horizontalen Strang. Bereits im 2008er Film „Erntedank e.V.“ wird die Lebensgeschichte von Charlotte Lindholm ergänzt durch ihren Sohn David. Nicht eben clever, weil sich nun für die Autoren immer wieder die Notwendigkeit ergibt, den Kleinen in das Geschehen einzubringen. Im Göttingen-Tatort bringt das Drehbuch die dramaturgische Sackgasse nun auf den Punkt, in dem es Charlottes Sohn (!) die Worte in den Mund legt: „Du gönnst mir meine Karriere nicht!“

So gesehen eine kluge Entscheidung der Redaktion, Jan Braren, den Autor von „Der Fall Holdt“ nun auch mit dem neuen Buch zu beauftragen. Gelungen sind vor allem die Anfangsszenen, in denen Maria Furtwängler „ihre“ Charlotte Lindholm in solch übertriebener Arroganz agieren lässt, dass sie innerhalb der ersten Viertelstunde des Films in sämtliche, wirklich sämtliche Fettnäpfchen tritt, die möglich sind. Allein, diese Fortsetzung war ganz offensichtlich Maria Furtwängler zu düster. Sie hatte schon sich bei der Premiere des letzten Films beim Oldenburger Filmfest „etwas mehr Licht“ für Charlotte Lindholm gewünscht. So ergibt es sich nun, dass das Drama um die Schwangerschaft eines jungen Mädchens einen bemerkenswert leichten Ton einschlägt.

Mit Franziska Buch hat der NDR wieder einer Regisseurin den Tatort anvertraut, die keine Erfahrung im Krimi Genre vorweisen konnte. Was bei „Der Fall Holdt“ funktionierte, scheitert hier daran, dass sich Drehbuch (an dem auch noch Stefan Dähnert und Regisseurin Franziska Buch mitwirkten) und Inszenierung nicht entscheiden können zwischen hochsommerlicher, flirrender Hitze und der Kälte und dunklen Tragik der Geschichte von Julija.

Gut zu wissen

  • Der Autor Stefan Dähnert ist zum vierten Mal an einem Drehbuch für Charlotte Lindholm beteiligt; aus seiner Feder stammen auch „Das Gespenst“ (2009) und die Doppelfolge „Wegwerfmädchen“ und „Das goldene Band“ (2009). Ein weiteres Buch mit dem Arbeitstitel „Der geheime Garten“ (zirka 2010/11) wurde von Maria Furtwängler öffentlich abgelehnt. Dähnert hat für die Reihe Tatort inzwischen insgesamt zehn Drehbücher geschrieben und entwickelte die Konstanzer Kommissarsfigur Klara Blum.
  • David Lindholm wird in „Das verschwundene Kind“ von Oskar Netzel gespielt, das ist der inzwischen siebte Darsteller im zwölften Film.
  • In Deutschland gibt es jährlich etwa 1600 nicht oder erst spät wahrgenommene Schwangerschaften.
  • Florence Kasumba ist in Essen aufgewachsen und spielte bereits in fünf Tatorten mit; in Wien, Bremen, Ludwigshafen, Berlin und Stuttgart.
  • „Das verschwundene Kind“ wurde unter dem Arbeitstitel „Born To Die“ vom 6. Juni bis 8. Juli 2018 in Göttingen und Hamburg gedreht.
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