Film

Filmkritik: „Werk ohne Autor“

Florian Henckel von Donnersmarck und Sebastian Koch haben in Oldenburg den Film Werk ohne Autor vorgestellt.

Florian Henckel von Donnersmarck und Sebastian Koch haben in Oldenburg den Film „Werk ohne Autor“ im Casablanca Kino vorgestellt.
Foto: Anja Michaeli

Oldenburg (am) Der neueste Film „Werk ohne Autor“ von Florian Henckel von Donnersmarck soll ausdrücklich keine Biografie von Gerhard Richter sein. Das betonte der Regisseur am vergangenen Samstag, als er nach der Vorführung im Casablanca Kino über die Entstehung und Produktion des Filmes – gemeinsam mit Schauspieler Sebastian Koch – berichtete. Dass es aber um die Lebensgeschichte des Künstlers geht, der seit Jahren in der Weltrangliste der wichtigsten Künstler aufgeführt wird, ist wirklich nicht zu übersehen. Der Film soll als deutscher Beitrag für den Oscar („Bester nicht englischsprachiger Film“) eingereicht werden. Nach Meinung vieler Kritiker ist dies ein Fehler. Das sehen wir anders.

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Werk ohne Autor: Die fiktive Geschichte

Wahre Begebenheiten im Leben Gerhard Richters inspirierten Florian Henckel von Donnersmarck zu dem Drehbuch von „Werk ohne Autor“. Gerhard Richter, der hier Kurt Barnert (Tom Schilling) heißt, wächst im nationalsozialistischen Deutschland auf. Kriegsereignisse, das Drama um seine Tante Elisabeth (Saskia Rosendahl) und das traurige Schicksal seines Vaters Johann Barnert (Jörg Schüttauf) haben ihn traumatisiert. Während seiner Anfangsjahre im sozialistischen Realismus in der DDR lernt Kurt seine spätere Ehefrau, die ebenfalls Elisabeth – genannt Eli – (Paula Beer) heißt, kennen – und damit auch seinen zukünftigen Schwiegervater Professor Seeband (Sebastian Koch), ein bekannter Gynäkologe mit Nazi-Vergangenheit. Seine Entscheidungen hatten auch das Schicksal von Kurts Tante besiegelt. Nach ersten Erfolgen in der DDR reichen dem Künstler Hammer und Sichel nicht mehr, er strebt nach freier Entfaltung. Nach der Flucht in den Westen entlarvt Kurt den Täter durch seine Bilder.

Gerhard Richter

Gerhard Richters Leben ist die unverkennbar Grundlage des fiktiven Films. Daran bleibt nach drei Stunden kein Zweifel. Geboren 1932 wuchs Richter in Dresden und später auf dem Land auf. Wie im Film bekam der Lehrervater nach dem Krieg als Parteimitglied der NSDAP keine Anstellung mehr. Tante Elisabeth alias Marianne Schönfelder litt unter psychischen Problemen. 1938 wurde sie im Zuge der Euthanasie durch NS-Ärzte zwangssterilisiert, 1945 ließ man sie in der Tötungsanstalt Großschweidnitz verhungern (im Film wird Elisabeth in eine Gaskammer geführt). Richter wurde zunächst als Schriften-, Bühnen- und Werbemaler ausgebildet und besuchte später die Kunstakademie in Dresden. 1961 floh er gemeinsam mit seiner Ehefrau Marianne Eufinger genannt Ema nach West-Berlin. Die in der DDR geschaffenen Kunstwerke ließ er zurück, verbrannte sie und Wandgemälde wurden übermalt. Er setzte sein Studium an der Kunstakademie Düsseldorf fort. 2004 wurde durch einen Presseartikel bekannt, dass seine Tante Marianne 1945 im Rahmen der „Aktion Brandt“ durch NS-Ärzte ermordet worden war. Sein Schwiegervater Heinrich Eufinger gehörte als SS-Obersturmbannführer und Verantwortlicher für die Zwangssterilisationen zu den Tätern. Tatsächlich wurden Marianne und Professor Eufinger mehrfach von Richter porträtiert. Allerdings waren dem Künstler die Hintergründe wohl nicht bekannt. Professor Eufinger hatte sich ebenfalls aus der DDR abgesetzt und war bis zu seiner Rente Chefarzt der Frauenklinik Sanderbusch bei Oldenburg. 1965 ging er in Pension, er starb 1988 in Wilhelmshaven.

Filmkritik

Schon mit den ersten Szenen wird dem Zuschauer bewusst, mit wie viel Liebe zum Detail „Werk ohne Autor“ entstanden ist. Trotz aller Schrecken und Perversitäten, die hier thematisiert werden, ist es Henckel von Donnersmarck gelungen, mit humorvollen Szenen für kurze Entspannung von der Tragik zu sorgen, bevor das Unheil weiter über die Leinwand flimmert. Großartige Bilder, eine Musik des Komponisten Max Richter, die passender nicht sein könnte, und Darsteller, die sich die Seele für ihre Figuren aus dem Leib gespielt haben, machen den Film zu einem wunderbaren Erlebnis. Tempo, Dramatik, Lichtsetzung, poetische Momente, Magie: An diesem Werk stimmt einfach alles. Wir finden, dass ein zweiter Oskar gerechtfertigt ist. Aber wir wollen nicht verhehlen: Es gibt durchaus andere Meinungen unter den Kunstkritikern, zu viel Pathos sei im Spiel. Doch nach der Oldenburger Vorführungen waren sich viele einig: Diese 188 Minuten sind wie im Fluge vergangen. Ein größeres Lob für einen Film gibt es wohl kaum. Trotzdem haben zum Start nur 40.000 Kinobesucher eine der Vorführung besucht. Schade.

Zuschauergespräch

Florian Henckel von Donnersmarck und Sebastian Koch haben sich am Montagabend im Casablanca Kino den Zuschauerfragen gestellt. Zuvor „Werk ohne Autor“ in zwei Kinosälen gezeigt worden, das Gespräch wurde live übertragen. Der Bösewicht (Sebastian Koch) kam mit einem strahlenden Lächeln auf die Bühne. Kein Wunder, denn sein über zwei Meter großer Regisseur hatte gerade ein hohes Loblied auf ihn gesungen. „Ein anderer wäre für mich nicht in Frage gekommen“, betont Henckel von Donnersmarck. Die Darstellung des dämonischen Professors Seebads ist tiefgründig, beherrscht und dunkel. Seine Anzüge sitzen im Film wie Uniformen. Er ist die personifizierte Kontrolle. Ganz anders der Mann, der jetzt vor dem Vorhang steht: leger, locker und mit Dreitagebart.

Sebastian Koch als Professor Seeband in Werk ohne Autor.

Sebastian Koch als Professor Seeband.
Foto: Filmausschnitt

Vor knapp zehn Jahren hat sich Florian Henckel von Donnersmarck erstmals Gedanken zu diesem Thema gemacht. Damals wurde bei seinem Vater Krebs diagnostiziert. Damit begann die Suche nach einem relevanten Thema. „Wofür lohnt es sich, sich damit zu beschäftigen?“, war die Ausgangsfrage des Regisseurs. „Bildende Kunst in Bild übersetzt“, fand Koch wunderbar. Einer weiteren Zusammenarbeit nach „Das Leben der Anderen“ 2006 stand nichts mehr im Wege. Für die zweite Hauptfigur wurde Tom Schilling, der 2012 mit „Oh Boy“ den German Indepence Award des Filmfestes Oldenburg gewonnen hat, engagiert. Er habe sechs Castings über sich ergehen lassen müssen, bevor Henckel von Donnersmarck sich für ihn entschieden hat. Schilling wollte in früheren Jahren Künstler werden. Eine gute Voraussetzung, um sich in die Rolle zu vertiefen. Zumal er sehr wenig Text zu sprechen hatte, aber mit Mimik und Gestik überzeugen musste. „Es genügte oft eine Bewegung mit den Augen“, so der Regisseur. Auf die Sex-Szenen angesprochen, erklärte Henckel von Donnersmarck, dass die zahlreichen Aufnahmen und Choreografien zuvor mit Doubles geprobt worden seien. Das sei ihm wichtig gewesen, denn nur hier habe es einen Ruhepunkt für das Paar bei den enormen Anfeindungen gegeben.

Vier Jahre lang dauerte die Vorproduktion. Vor den Dreharbeiten wurden pro Drehort 200 Alternativen geprüft. Besonders aufwändig waren die Szene für die Wanderausstellung der entarteten Kunst. Mit Gerhard Richter fanden im Vorfeld einige Treffen statt. Bisher hat er den Film noch nicht gesehen. Dem Wunsch, ihn auf DVD zu erhalten, hat Henckel von Donnersmarck ihm nicht erfüllt. Das ginge doch nicht. Ein Kinofilm auf dem Fernsehbildschirm. Im Nachgang hat Richter den Trailer gesehen und ihn kritisiert. Er sei zu reißerisch. Vielleicht lässt er sich ja doch noch in einen Kinosaal einladen, denn dafür ist dieser Film geschaffen.

„Werk ohne Autor“ läuft zurzeit täglich im Casablanca Kino um 16.30 und um 20.15 Uhr. Sonntags um 11, 14.45 und 19.45 Uhr.

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