Baumschutz, Heuchelei und Fingerspitzen – eine Erinnerung

Am kommenden Montag soll die Baumschutzsatzung beschlossen werden.
Foto: stevanovicigor
Oldenburg (Michael Exner) Falls nichts Grundlegendes mehr passiert (die Begleitmusik ist diesmal eher gedämpft), wird der Oldenburger Rat am Montag mit seiner grün-roten Mehrheit eine Baumschutzsatzung beschließen. Es ist der zweite Anlauf in dieser Richtung. Dem ersten war vor mehr als einem Vierteljahrhundert ein spektakuläres Ende beschieden. Das bürgerlich bestimmte Aus für ein damals (die Reihenfolge hat sich mit der Zeit ja geändert) rot-grünes Lieblingsprojekt wurde zum Lehrstück – in mehrfacher Hinsicht: für fehlendes Fingerspitzengefühl, politische Überheblichkeit und wechselseitige Heuchelei, aber auch für Differenzierungsvermögen eines Wahlvolks an der Urne.
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Der Satzungsbeschluss fiel in eine politisch unruhige Zeit. Bei der ersten Direktwahl eines Oberbürgermeisters nach der neuen Kommunalverfassung hatte CDU-Kandidat Jürgen Poeschel im Herbst 1996 zur allgemeinen Überraschung den bis dato ehrenamtlichen SPD-Oberbürgermeister Dieter Holzapfel geschlagen. Der neue Mann in neuer Funktion sah sich allerdings einer bei der zeitgleichen Ratswahl zustande gekommenen Mehrheit aus SPD und Grünen gegenüber. Die Stimmung zwischen beiden Seiten, aber auch zwischen Mehrheit und Minderheit im Rat war eher feindselig und blieb es auch. Rot/Grün bastelte unverdrossen weiter an Projekten, zu denen es in der Periode davor (auch da schon unter Querelen) nicht mehr gereicht hatte. Neben der später gleichfalls gescheiterten Verpackungssteuer war das vor allem eine Baumschutzsatzung (die der Stadt Eingriffe in privates Grün ermöglicht hätte).
Im Vorfeld der Entscheidung hatte sich (eher gefühlmäßig grundierter) Widerstand im bürgerlichen Lager entwickelt, den die Ratsmehrheit zunächst auf die leichte Schulter nahm. Doch kaum hatte Rot/Grün kurz vor der Sommerpause 1997 die Satzung beschlossen, probten die Bürgervereine und der Hauseigentümerverband den Aufstand, bei dem sich CDU und FDP flugs hinter die Spitze der Bewegung stellten. Es baute sich eine bis dahin in der Stadtpolitik nicht bekannte Emotionswelle auf, die erst ein knappes Jahrzehnt später bei der Schlacht um den „Koloss am Schloss“ (die ECE-Schlosshöfe) eine Neuauflage erlebte. Das Zweckbündnis hatte Erfolg: 15 000 Bürger (und damit 3000 mehr als erforderlich) sorgten innerhalb der vorgeschriebenen Frist mit ihrer Unterschrift für das erste Bürgerbegehren des Landes – ein Plebiszit, das erst mit der Reform der Kommunalverfassung eingeführt worden war. Bei entsprechendem (und hier erreichtem Quorum) mündete das Begehren in einen Bürgerentscheid, der im Erfolgsfall (auch da ein Quorum) den Charakter eines Ratsbeschlusses hatte.
Passend zum Thema befand sich der Oberbürgermeister gewissermaßen zwischen Baum und Borke. Einerseits stand er unter dem Druck seiner Partei, die sich vom Kampf gegen das rot-grüne Satzungsprojekt Aufwind für die bevorstehende Landtagswahl im März 1998 versprach. Andererseits wollte Poeschel auch Rücksicht auf die Grünen nehmen, deren Zurückhaltung bei der OB-Stichwahl er einen Großteil seines Erfolges verdankte. Es war eine Zeit des Lavierens. Stadtsprecher zu jener Zeit war übrigens ein gewisser Jürgen Krogmann, heute an Poeschels Stelle Chef im Rathaus.
Der große Streit entzündete sich an einer nur auf den ersten Blick banalen Terminierungsfrage. Poeschel (der die Befugnis dazu hatte) wollte die Abstimmung über den Bürgerentscheid auf den Tag der Landtagswahl legen – ursprünglich wohl aus eher technischen Erwägungen. Der Chef der Verwaltung fürchtete eine zu hohe Belastung derselben bei der Organisation zweier Urnengänge innerhalb kürzester Zeit. Der anfangs eher theoretische Diskurs darüber (Kostenersparnis hier, rechtliche Bedenken da – geheuchelt war letztlich beides) mündete in eine handfeste politische Keilerei. SPD und Grüne wollten eine Koppelung der Abstimmungen unbedingt verhindern. Die Parteien, die bis dato Basisdemokratie und Bürgerbeteiligung so hoch gehängt hatten, traten gemeinsam auf die Bremse. Die Grünen fürchteten bei hoher Beteiligung um ihre Satzung, die Sozialdemokraten angesichts des sich abzeichnenden Bürgerzorns um ihre Direktmandate bei der Landtagswahl. Die grüne Furcht erwies sich als berechtigt, die rote nicht.
Vom anfänglichen Willen der SPD, die Bürgerbeteiligung in möglichst engen Grenzen zu halten, zeugt auch die Absicht, den Tag des Entscheids lediglich über eine amtliche Bekanntmachung zu veröffentlichen, nicht aber per Mitteilung an die Stimmberechtigten. Den Plan ließ man (angesichts der offenkundigen Durchsichtigkeit) zwar fallen, immerhin aber unternahmen SPD und Grüne noch den Versuch, die Befugnis zur Terminierung von Bürgerentscheiden per Änderung der Hauptsatzung an sich zu ziehen (was möglich gewesen wäre). Doch Poeschel handelte für seine Verhältnisse ungewohnt schnell und entschied, bevor die anderen entscheiden konnten. Dass er seinen Entschluss zu Beginn exakt jener Verwaltungsausschusssitzung verkündete, auf der die rot-grüne Mehrheit seine Kompetenzen einschränken wollte, verriet einen Sinn für dramatische Effekte. Der Überraschungscoup brachte Teile der SPD kurzzeitig an den Rand nervlicher Zerrüttung – mittendrin der damalige Parteivorsitzende Dietmar Schütz, der knapp vier Jahre später mit Unterstützung der Grünen Poeschel als OB ablösen sollte, während seiner eigenen Amtszeit das Thema Baumschutzsatzung aber nicht mehr anfasste. Geschichte hat bisweilen ihren eigenen Sinn für Ironie. Ein letztes Aufbäumen endete als Purzelbaum. Die Vorab-Warnung von Seiten der SPD, für den Fall der Termin-Koppelung werde man per Widerspruch zur Bezirksregierung und im Zweifel bis zum Innenministerium gehen, erwies sich als leere Drohung. Davor schreckte man dann doch zurück.
Der Tag des Doppel-Votums brachte Überraschendes: Mit 48 000 statt der benötigten 30 000 Stimmen fegten die Oldenburger zwar die Baumschutzsatzung vom Tisch, wählten aber gleichzeitig die SPD-Kandidaten Wolfgang Wulf (wieder) und Heike Bockmann (erstmals) in den Landtag – wobei vor allem der Fall Bockmann eine Pointe hatte: war sie doch Mitglied jener Ratsfraktion, die gerade noch die bekämpfte Satzung beschlossen hatte. Die Zahlen waren eindeutig: 48 151 stimmten bei einer Beteiligung von über 58 Prozent im Entscheid gegen die Satzung – 20 000 mehr, als bei der Landtagswahl ihr Kreuz bei den Satzungsgegnern von CDU und FDP gemacht hatten. 21 692 votierten für den Erhalt der Satzung – über 27 000 weniger, als bei der Landtagswahl SPD und Grüne gewählt hatten.
Die Bürgerinnen und Bürger hatten offenbar sehr genau gewusst, was sie wollten – und ein Differenzierungsvermögen bewiesen, das ihnen die Politik nicht zugetraut hatte.
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