Kultur

Visueller Zauber trifft auf poetische Herausforderung

„Der Sturm“: eine visuell herausragende Inszenierung.

„Der Sturm“: eine visuell herausragende Inszenierung.
Foto: Stephan Walzl

Oldenburg (Anja Michaeli) – Wer Shakespeares „Der Sturm“ kennt, weiß um das Paradox dieses Stücks: Es gilt als theatralisches Testament des Meisters, als poetische Summe seines Schaffens – und ist dennoch eines seiner unbekanntesten Werke.

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Hausregisseurin Ebru Tartıcı Borchers wagte sich bei der Premiere am vergangenen Samstag im Kleinen Haus des Oldenburgischen Staatstheaters an diese schwierige Vorlage und schafft ein visuell beeindruckendes, handwerklich exzellentes „Märchen für Erwachsene“ – auch wenn die emotionale Zugänglichkeit eine Herausforderung bleibt.

Märchenhafte Bühnenbilder

Die Ausstattung von Sam Beklik dominiert den Abend. Das Kleine Haus wird zur Bühne wechselnder Fantasiewelten: weiße Felsformationen, türkis-blaue Projektionen, nebelverhangene Räume und märchenhafte Lichteffekte schaffen eine Szenerie zwischen Meeresgrund, Höhle und Zauberinsel. Mirandas blaues Rüschenkleid mit turmhoher Perücke, die strömenden Gewänder der Geister, Prosperos blau-weiß gestreifter Mantel und die rote Samtrobe des Königs von Neapel mit imposanter Löwenmähne, windschief nach einem Schiffbruch, ergeben ein stimmiges Gesamtbild. Philipp Sonnhoffs Licht taucht die Szenen in magische Farben, Azahara Sanz Jaras Choreografie lässt die Geister gleiten.

Präzise gesetzt, stellenweise zu laut

Die technische Umsetzung ist insgesamt präzise und stimmig. Nur vereinzelt überdeckt Dani Cataláns atmosphärische Musik einzelne Passagen des ohnehin komplexen Shakespeare-Textes. Besonders bedauerlich ist das, weil Tartıcı Borchers weitgehend beim Original bleibt und nur punktuell modernisiert – etwa wenn Ferdinand Miranda fragt: „Bist du Single?“ oder wenn sich die Figuren im Slapstick-Stil gegenseitig mustern. Das sorgt für Lacher, wirkt aber manchmal deplatziert im Kontext einer ansonsten ernsthaft angelegten Inszenierung.

Märchen für Erwachsene

Der Ansatz, „Der Sturm“ als Märchen für Erwachsene zu inszenieren, erweist sich als kluger Zugang zu diesem sperrigen Stoff. Die 2¼ Stunden entfalten sich als sinnliches Gesamtkunstwerk, das Shakespeares Sprache in ein visuell faszinierendes Erlebnis übersetzt. Das Ensemble liefert durchweg überzeugende Leistungen. Die Figuren bleiben jedoch – wie bei diesem Stück zu erwarten – eher Ideenträger als psychologisch ausdifferenzierte Charaktere.

Fazit

Tartıcı Borchers und ihr Team zeigen, wozu das Oldenburger Staatstheater fähig ist: ein farbenprächtiges Schauspiel mit klug gesetzten Bildern und durchweg überzeugende Darsteller/innen. Dennoch bleibt der Zugang schwer. Keine der Figuren entfaltet emotionale Sogkraft wie bei anderen Shakespeare-Stücken, keine berührt – was weniger an der Inszenierung als am Stück selbst liegen dürfte. „Der Sturm“ bleibt ein rätselhaftes Werk: mehr Gedankenexperiment als Drama, mehr Allegorie als Handlung. Wer sich auf die poetische Sprache und die märchenhafte Ästhetik einlässt, erlebt einen visuell starken Theaterabend – aber vielleicht keinen, der lange nachhallt.

Shakespeares „Der Sturm“ – Inhalt und Einordnung

Die Handlung

Prospero, der rechtmäßige Herzog von Mailand, wird von seinem Bruder Antonio und dem König von Neapel entmachtet und mit seiner Tochter Miranda auf eine Insel verbannt. Dort eignet er sich über zwölf Jahre hinweg Magie an und herrscht über Geister wie Ariel sowie über Caliban, den ursprünglichen Inselbewohner.

Als seine einstigen Widersacher in der Nähe vorbeisegeln, lässt Prospero sie durch einen Sturm auf der Insel stranden. Die Gestrandeten durchlaufen Prüfungen, Miranda verliebt sich in Ferdinand, den Königssohn. Caliban plant einen Aufstand. Am Ende entscheidet sich Prospero gegen Rache und für Vergebung, gibt seine Zauberkräfte auf, entlässt Ariel in die Freiheit und bereitet die Rückkehr nach Mailand vor.

Literarische Einordnung

„Der Sturm“ entstand um 1610/11 und gilt als Shakespeares letztes eigenständiges Werk. Es gehört zu seinen sogenannten Spätromanzen, in denen märchenhafte Elemente mit existenziellen Themen verknüpft sind. Anders als die großen Tragödien endet das Stück versöhnlich – es ist weder Tragödie noch Komödie, sondern beides zugleich.

Oft wird es als „theatralisches Testament“ des Dichters gelesen. Prosperos berühmter Monolog „Wir sind aus solchem Stoff wie Träume sind“ und sein Verzicht auf Magie gelten als poetischer Abschied Shakespeares von der Bühne. Die Insel dient als Reflexionsraum über Macht, Moral, Natur und Kunst.

Themen und Bedeutung

Zentrale Themen des Stücks sind Vergebung, Gerechtigkeit, Machtmissbrauch, Kolonialismus und die Rolle der Kunst. Prospero herrscht mit Magie, kontrolliert Geister und Menschen – und verzichtet schließlich auf diese Macht. Caliban verkörpert den „edlen Wilden“, Miranda steht für Unschuld, Ariel für Geistigkeit. Das Spannungsverhältnis zwischen Natur und Zivilisation zieht sich durch das gesamte Werk.

Warum das Stück selten gespielt wird

Trotz seines literarischen Rufs gehört „Der Sturm“ nicht zu den populärsten Stücken Shakespeares. Die Gründe: eine wenig dramatische Handlung, hohe sprachliche Dichte, archetypische Figuren und ein hoher inszenatorischer Aufwand. Die poetische Sprache, die Geister und Zaubereffekte stellen viele Bühnen vor Herausforderungen.

Ein Stück für das Theater

Gerade in einer bildstarken, stimmigen Inszenierung kann „Der Sturm“ seine volle Wirkung entfalten. Die Mischung aus Märchen und Philosophie, aus Magie und Menschlichkeit, bietet Regie und Ausstattung große Möglichkeiten – und dem Publikum einen Zugang zu einem vielschichtigen, zeitlosen Werk.

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