Kultur

Staatstheater: „Piratenrepublik“ am Puls der Zeit

Das Oldenburgische Staatstheater zeigt derzeit in der Exhalle am Oldenburger Pferdemarkt erfolgreich die Uraufführung des interaktiven Theaterabends „Piratenrepublik“. Autor und Regisseur des Stückes ist Łukasz Ławicki.

Das Oldenburgische Staatstheater zeigt derzeit in der Exhalle am Oldenburger Pferdemarkt erfolgreich die Uraufführung des interaktiven Theaterabends „Piratenrepublik“. Autor und Regisseur des Stückes ist Łukasz Ławicki.
Foto: Stephan Walzl

Oldenburg (vs/ki) Piraten sind allgemein bekannt als Freibeuter der Meere, die auf hoher See ihr Unwesen treiben, plündern und auf Schatzsuche gehen. In unzähligen Filmen und Comics wird ihr Klischee von Freiheit und Abenteuer hochgehalten. Doch hinter diesem Mythos steckt weit mehr. Wie tagesaktuell und zugleich nachdenklich, anregend und unterhaltsam ihr Dasein auch heute noch sein kann, zeigt die aktuelle Schauspielproduktion des Oldenburgischen Staatstheaters „Piratenrepublik“. So wie die damaligen Piraten basisdemokratische Strukturen entwickelt und erprobt haben, findet sich das Publikum in der Exhalle am Pferdemarkt in einer Wahlkampfveranstaltung der frisch gegründeten „Freien Piratenrepublik Oldenburg“ wieder. Auch hier sollen neue Strukturen von Demokratie, Selbstbestimmung und Mitspracherecht gelebt werden – Realität statt Mythos.

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Zwei politisch und persönlich sehr unterschiedliche Kandidatinnen stellen sich zur Stichwahl für den Posten der Präsidentin. Ein Moderator führt durch den Abend unterstützt die ambitionierten Frauen. Er versucht, die turbulente Veranstaltung in geordnete Bahnen zu lenken und mischt sich mit dem Mikrofon unter das Publikum. Welche Herausforderungen, Ansprüche und politisch wie privat motivierte Eitelkeiten zum Vorschein kommen, ist in 90 äußerst lebendigen, aber auch nachdenklichen Minuten zu erleben. Machtspiele und Selbstinszenierungen, wie sie auch immer wieder in der hiesigen Bundesregierung zu beobachten sind, stehen auch in der Exhalle an der Tagesordnung.

Lebendiges Theaterevent in der Exhalle

Welche Hürden und Herausforderungen warten auf die Politik und die Bürgerinnen und Bürger, wenn eine Utopie zur gelebten Realität werden soll? Das Oldenburgische Staatstheater zeigt sich mit dieser vom Premierenpublikum gefeierten Produktion wieder einmal am Puls der Zeit. Wie zu erwarten, ist das Publikum nicht Teil einer klassischen Schauspielaufführung, sondern wird ein aktiver und wesentlicher Bestandteil eines gelungenen und am Ende überraschenden Theaterevents. Fragen, Wünsche und Ansprüche aus den verschiedensten Themenbereichen werden vom Publikum formuliert, und die beiden Kandidatinnen antworten, mal mehr und mal weniger überzeugend.

Welche Rolle spielen die Presse und sozialen Medien beim Suchen und Finden von relevanten Fragen und Antworten der Bevölkerung in der „Freien Piratenrepublik Oldenburg“? Wie manipulierbar sind die Menschen? Würden wir alles besser machen als „die da oben“, wenn wir direkt über politische Entscheidungen abstimmen könnten?

Starke Frauen im Kampf um die Macht

Die Kontrahentinnen Frauke Stein (Esther Berkel) und Liselotte Meyer (Anna Seeberger) sind in ihren Rollen so authentisch und in der heutigen Zeit verortet, dass das Publikum sich schnell an reale Politikerinnen erinnert fühlt. Mit großem schauspielerischen Einsatz ziehen beide Darstellerinnen alle Register ihres Könnens. Frauke Stein, eine Libertäre, die an Hierarchien glaubt, stellt die Eigenverantwortung und Selbstbestimmung in den Vordergrund ihrer Politik. Sie bevorzugt klare Führungsstrukturen und hat nicht sofort alle Sympathien auf ihrer Seite. Für einen Großteil des Publikums ist Liselotte Meyer die eher volksnahe Politikerin, bei der „Solidarität nicht als Schwäche, sondern als Stärke gesehen wird“. Mit vollem verbalen Einsatz versuchen beide Schauspielerinnen, die Anwesenden für sich zu begeistern. Argumente und Überzeugungsversuche fliegen wie Pingpong-Bälle durch den Raum. Beeindruckend ist, mit welcher Schlagfertigkeit und Präsenz die Darstellerinnen auf die vorher nicht bekannten Fragen aus dem Publikum antworten.

Jürgen Wolff (Darios Vaysi) ist in der Inszenierung mehr Showmaster als Moderator, was zwischenzeitlich sehr hyperaktiv und aufgesetzt wirkt. Eine moderatere Darstellung seiner Figur hätte dem Abend mehr Authentizität und Glaubwürdigkeit verliehen. Die überdimensionale LED-Wand an der Rückseite der Spielfläche (Bühne: Łukasz Ławicki) beeindruckt. Genutzt wird die Leuchtwand als Projektionsfläche für Schlagzeilen der Medien und fortlaufende Kommentare aus den sozialen Medien zu den Geschehnissen im Versammlungsraum.

Die Politikerinnen Lieselotte Meyer (Anna Seeberger, links) und Frauke Stein (Esther Berkel) treten in der Stichwahl zur Präsidentin der „Freien Piratenrepublik Oldenburg“ mit vollem Einsatz gegeneinander an.

Die Politikerinnen Lieselotte Meyer (Anna Seeberger, links) und Frauke Stein (Esther Berkel) treten in der Stichwahl zur Präsidentin der „Freien Piratenrepublik Oldenburg“ mit vollem Einsatz gegeneinander an.
Foto: Stephan Walzl

Gelebte Basisdemokratie in Oldenburg

Regisseur und Autor des Stücks, Łukasz Ławicki, sowie Reinar Ortmann, der Leitende Schauspieldramaturg des Oldenburgischen Staatstheaters, orientierten sich bei der Stückentwicklung an dem Buch „Piraten – Die Suche nach der wahren Freiheit“ des amerikanischen und mittlerweile verstorbenen Anthropologen David Graeber. Das Staatstheater schreibt dazu: „Ausgangspunkt ist die Geschichte von Piraten auf Madagaskar, die vor Jahrhunderten basisdemokratische Strukturen erprobt haben sollen. Ein Experiment fernab kapitalistischer Ideologie. Der Anthropologe David Graeber stellt hierzu eine provokative These auf: Der Westen verzerrt seine Geschichte, geprägt von Eurozentrismus, Rassismus und kapitalistischer Ideologie. Ein Perspektivenwechsel könnte unsere Wahrnehmung von Freiheit und gesellschaftlichen Strukturen grundlegend verändern. Das Theaterstück ‚Piratenrepublik‘ setzt sich mit den Herausforderungen und Potenzialen basisdemokratischer Prozesse auseinander.“

Gemeinschaftliche Gespräche und Diskussionen, mit allem „Wenn und Aber“ der unterschiedlichen politischen Positionen, stehen in der Exhalle während der Pause sowie nach Stückende auf dem Programm. Das Theater als einen Ort für den Diskurs zum tagespolitischen Geschehen und für den Austausch über Wünsche und Ziele der gemeinschaftlichen Zukunft im solidarischen Miteinander zu schaffen, ist mit diesem Abend perfekt gelungen. „Piratenrepublik“ ist ein Stück, das geschaffen ist für aktuelles Theater, bei dem das Publikum die Chance bekommt, ein wesentlicher Bestandteil zu sein. Ein Stück, das auch zum Nachdenken anregt, wie wir leben wollen oder eben nicht.

Informationen zum Stück, Vorstellungstermine und Eintrittskarten gibt es unter www.staatstheater.de und Telefon 0441 2225111.

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