Kultur

Brisantes Erbe unter die Lupe genommen

Der übermodellierte Zeremonialschädel aus Neuirland (Papua-Neuguinea) im Oldenburger Landesmuseum Natur und Mensch.

Übermodellierter Zeremonialschädel aus Neuirland (Papua-Neuguinea).
Foto: W. Kehmeier / Landesmuseum Natur und Mensch

Oldenburg (zb) Die Ethnologischen Sammlungsbestände des Landesmuseums Natur und Mensch (LMNM) in Oldenburg umfassen rund 7000 Objekte verschiedener außereuropäischer Kulturen. Neben Masken, Haushaltsgegenständen, Waffen oder Bootsmodellen sind auch menschliche Überreste wie Humanschädel ins Oldenburger Museum gelangt. Ihre genaue Zahl, ihre Herkunft und die Umstände ihres Erwerbs waren bislang nicht erfasst. Museumsmitarbeiterin Jennifer Tadge hat versucht, die außereuropäischen Schädel zu identifizieren und stellte ihre Ergebnisse gemeinsam mit Museumsdirektor Dr. Peter René Becker vor.

Anzeige

„Menschliche Überreste außereuropäischer Herkunft, insbesondere Schädel, sind ein brisantes Erbe für Museen mit ethnologischen Sammlungsbeständen wie das LMNM Oldenburg“, macht Peter René Becker deutlich. „Sie erfordern eine besondere Verantwortung und einen hochsensiblen Umgang. Bislang hat man sich vor allem auf Nazi-Beutekunst konzentriert, aber wie man sieht, gibt es auch andere Beutekunst“, gibt er zu bedenken. 20 Schädel mit außereuropäischer Herkunft konnte Jennifer Tadge identifizieren. „Einige stammen zweifelsfrei aus kolonialen Zusammenhängen, also aus Kontexten, die einen unrechtmäßigen Erwerb der menschlichen Überreste vermuten lassen“, erklärt sie.

Vor 100 Jahren war man hinter Schädeln her

„Tatsächlich war man vor 100 Jahren regelrecht hinter Schädeln her, sie waren in Mode“, berichtet Peter René Becker. „Sie ließen sich gut verkaufen und vermutlich haben auch Forscher damit ihre Expeditionen finanziert.“ Und manch ein Schädel ist im LMNM gelandet, allerdings ist bis auf einige kaum nachzuvollziehen, welchen Weg sie durch wen genommen haben. Die 20 identifizierten Humanschädel stammen sowohl aus Papua-Neuguinea, Australien und Afrika. Doch eine exakte ethnische Zuordnung war für Jennifer Tadge nicht möglich.

Zwar entdeckte sie eine alte Kladde von 1894, die Skelette und Menschenschädel umfasst, jedoch ist das Verzeichnis nicht vollständig. „Die Schädel wurden meistens von Menschen aus Nordwestdeutschland gesammelt, die in den Kolonien tätig waren und eben menschliche Überreste gesammelt haben“, berichtet sie weiter. Dazu gehörte unter anderem ein Oldenburger Kaufmann, der in Kamerun während der deutschen Kolonialherrschaft tätig war und dem Museum nicht nur zahlreiche Alltagsgegenstände hinterließ, sondern auch einen Humanschädel.

Humanschädel werden in Oldenburg nicht gezeigt

„An einigen Schädeln klebten Zettel, die etwas über ihre Herkunft verrieten, auf andere Schädel wurde direkt mit einem Stift etwas drauf geschrieben“, erzählt Jennifer Tadge, die inzwischen alle identifizierten Schädel nach standardisierten Methoden aufbewahrt hat. „Zeigen tun wir sie nicht“, stellt Peter René Becker klar, der lediglich einen übermodellierten Zeremonienschädel aus Neuirland (Papua Neuguinea) zu Demonstrationszwecken aus einem Spezialkarton herausholt.

„Bei ihm war vorgesehen, dass er nicht in der Erde bleibt, weil es dem traditionellen Umgang entspricht. Ziel dieses Schädels war es, ihn aus der Erde zu holen und überzumodellieren. Es handelt sich also um einen Ahnenkult, ihn wieder im Haus aufzubewahren.“ So wurden diesem Schädel unter anderem Katzenaugenschnecken eingesetzt.

Schädel stammen auch aus Grabungen

„In unseren Beständen befinden sich auch Schädel, die aus Grabungen stammen“, berichtet Jennifer Tadge weiter. Hierunter fallen Teile einer ägyptischen Mumie. „Besonders überraschend war die Herkunftsgeschichte zweier Inuit-Schädel, die wir zumindest ansatzweise rekonstruieren konnten. Sie wurden von einem Steuermann aus dem Oldenburger Land gesammelt, als er den berühmten Ethnologen Franz Boas auf seiner ersten Forschungsreise 1883 nach Kanada begleitete. Einige Schädel scheinen jedoch über Händler, die es auch in Oldenburg nachweislich gab, als Ergänzung zur Sammlung erworben zu sein.“

Um die genaue Herkunft zu bestimmen und eine ethnische Zuordnung treffen zu können, sind weitere Untersuchungen einiger Schädel angedacht, erklärte der Museumsdirektor. „Daraus werden sich dann Spuren zur Erforschung der genaueren Herkunft der Schädel ergeben. Es ist schließlich unsere Verantwortung, die Provenienz der Humanschädel zu erforschen. Wir hoffen, durch genauere Erkenntnisse auch mögliche Rückgabeprozesse begleiten zu können.

Vorheriger Artikel

Internationale Tanztage: Ovationen zur Eröffnung

Nächster Artikel

Kommentar: Fußgängerzone bewahren

Keine Kommentare bisher

Einen Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.