Kultur

„Die Reise der Verlorenen“ bewegt und begeistert

Das bewegende Schauspiel „Die Reise der Verlorenen“ von Daniel Kehlmann ist jetzt im Großen Haus des Oldenburgischen Staatstheaters zu sehen.

Das bewegende Schauspiel „Die Reise der Verlorenen“ von Daniel Kehlmann ist jetzt im Großen Haus des Oldenburgischen Staatstheaters zu sehen.
Foto: Stephan Walzl

Oldenburg (vs) Auch in der Spielzeit 22/23 ist das Oldenburgische Staatstheater wieder am (tragischen) Puls der Zeit mit seiner Spielplangestaltung. Mit dem dramatischen Theaterstück „Die Reise der Verlorenen“ bringt Regisseur Klaus Schumacher mit seinem Team ein bewegendes Flüchtlingsdrama auf hoher See auf die Bühne, wie wir es alle täglich in den Medien erleben (müssen). Menschen flüchten aus ihrer Heimat in der Hoffnung auf ein friedliches Leben ohne Angst und Verfolgung und sind nirgends erwünscht. Der junge Autor Daniel Kehlmann („Die Vermessung der Welt“) hat nach dem Buch „The Voyage of the Damned“ von Gordon Thomas und Max Morgan-Witts ein Stück geschrieben, dass die Irrfahrt des deutschen Transatlantikschiffes „St. Louis“ auf seiner Reise von Hamburg nach Havanna beschreibt. An Bord 937 Passagiere, fast alles Juden, die 1939 aus Hitler-Deutschland fliehen und bis zur Erteilung der Einreisegenehmigung in die USA in Kuba bleiben wollen.

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Dem Oldenburger Schauspielensemble gelingt auf der freien Bühne (Bühne: Karin Plötzky, Licht: Steff Flächsenhaar) des Großen Hauses eine herausragende Mannschaftsleistung. Durch die offenen Kostümwechsel erlebt das Publikum in fast Sekundenschnelle einen Rollenwechsel, der beeindruckt. Jeder Figur nimmt man die unterschiedlichen Rollen voll ab. Besonderer Clou der Inszenierung ist eine Sitztribüne im hinteren Teil der Bühne auf der ebenfalls Publikum Platz nimmt und in den Zuschauerraum schaut. Direkte Ansprachen der Schauspieler/innen durchbrechen die imaginäre vierte Wand ihrer offenen Spielfläche und bringen mit ausgesprochenen Gedanken ihren wahren Charakter zum Vorschein.

Matthias Kleinert als Kapitän Gustav Schröder bleibt als Einziger in seiner beachtenswerten Rolle, die ihm Gehorsam durch seine Reederei auferlegt. Seine Empathie für das Schicksal seiner Passagiere lässt ihn an Befehlen zweifeln. Am Ende ist das diplomatische Glück auf seiner Seite. Als wahrer Unsympath tritt Klaas Schramm in der Rolle des Vollblut-Nazis Otto Schiendick auf, der mit Worten und Taten keinen Hehl daraus macht, wie sehr er die Passagiere verachtet. Seine gewollt lachhafte und teilweise slapstickartige Darstellung ist allerdings leicht überzogen, was aber sprichwörtlich „jammern auf hohem Niveau“ bedeutet. In jeder ihrer einzelnen Figuren wissen Rebecca Seidel, Julia Friede, Veronique Couhard, Yazin Özen und Karl Miller absolut zu überzeugen.

Wie aktuell die Geschichte der „St. Louis“ ist, lässt sich an dem Umstand erkennen, dass nur einen Tag nach der Premiere dem deutschen Rettungsschiff „Humanity I“ erst nach zweiwöchiger Irrfahrt durch das Mittelmeer die neue Regierung Italiens das Anlegen des Schiffes in Sizilien gestattete. Allerdings durfte nur ein Teil der Flüchtlinge das Schiff verlassen. Verdient langer Applaus für das gesamte Ensemble für ein großartiges Stück, das dafür sorgen sollte, uns nicht vergessen zu lassen, was tagtäglich mit Menschen in Europa geschieht.

Vorstellungstermine und Karten sind unter www.staatstheater.de erhältlich.

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