Oldenburg

Wohlfahrtsverbände: Ausgrenzung beginnt beim Schulbedarf

Diakonie und Caritas haben Schulbedarfslisten ausgewertet. Das Ergebnis: Die staatlichen Leistung reichen für eine Finanzierung nicht aus.

Dr. Gerhard Tepe, Dietmar Fangmann, Franz-Josef Franke und Pfarrer Thomas Feld (von links) setzen sich für die Erhöhung von Leistungen für Schulbedarf ein.
Foto: Anja Michaeli

Oldenburger Land (am) Stifte, Arbeitshefte, Tuschkasten: Einen Erstklässler auszustatten, ist nicht günstig. Und nicht nur zum Start müssen Eltern tief ins Portemonnaie greifen, um ihre Kinder für die Schule auszustatten. Wie hoch der Bedarf an Schulmaterialien tatsächlich ist, hat jetzt die oldenburgischen Landesverbände von Diakonie und Caritas überrascht. Sie haben Schulbedarfslisten ausgewertet – mit erstaunlichen und aufrüttelnden Ergebnissen. Fest steht: Die staatlichen Leistung, die im Bildungs- und Teilhabepaket (BuT) vorgesehen sind, reichen nicht aus.

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Insgesamt wurden 277 Schulbuchzettel und Schulbedarfslisten ausgewertet. Dabei ging es um Materialien für alle Schulformen und verschiedene Jahrgangsstufen, die die Eltern anschaffen müssen. Nicht berücksichtigt wurden unter anderem Sportkleidung, Klassenfahrten, Ersatzbeschaffungen, Kosten der Digitalisierung oder Schulgelder. Für die zu kaufenden Produkte wurden mittlere Preiswerte herangezogen. Das Ergebnis: Schulmaterialien schlagen durchschnittlich mit mindestens 152,67 Euro für Bücher, Hefte, Stifte oder Kopiergelder zu Buche. „So eine Materialliste kann in einkommensschwachen Familien zu einer mittelschweren Katastrophe führen“, weiß Dietmar Fangmann, Referent für Allgemeine Sozialberatung und Schuldnerberatung.

Wie hoch der Bedarf ist, hängt vom Wohnort der Schüler ab. Während in Delmenhorst 102,65 Euro berappt werden müssen, sind es in Oldenburg 168,38 Euro und in Vechta sogar 199,71 Euro. Grund dafür könnte die Sensibilisierung von Lehrkräften in einkommensschwachen Regionen sein, die ihre Materialwünsche den Bedingungen unterordnen.

Einfluss auf die Höhe des Bedarfs nehmen auch Schulformen und die jeweiligen Jahrgangsstufen. Durchschnittlich benötigt ein Förderschüler Materialien für 120 Euro, während ein Gymnasiast 269,51 Euro ausgeben muss. Die Eltern von Schulstartern müssen für den Erstbedarf mit Ranzen usw. sorgen, in den siebten Klassen fallen Taschenrechner besonders ins finanzielle Gewicht.

Schulkinder erhalten 70 Euro zu Beginn des Schuljahres und 30 Euro in der zweiten Schuljahreshälfte. Der angenommene Bedarf reiche bei weitem nicht aus – für Menschen im und ohne Leistungsbezug, so Franz-Josef Franke, Kreisgeschäftsführer Diakonisches Werk im Kirchenkreis Delmenhorst / Oldenburg-Land. Die Kosten würden die Leistungen des BuT um mindestens 80 Euro übersteigen. Durch eine Spendenaktion konnte in diesem Jahr Abhilfe geschaffen werden. Mehr als 1000 Anträge seien eingegangen. Aber Franke betont: „Die Ergebnisse machen deutlich, dass eine Einmalhilfe nicht reicht, sondern es sich um ein grundsätzliches Problem handelt.“

Forderung: Anpassung an die tatsächlichen Bedarfe

Deshalb fordern Dr. Gerhard Tepe, der Direktor des Landes-Caritasverbandes für Oldenburg und Thomas Feld, Vorstand des Diakonischen Werkes Oldenburg, dass die Höhe der Leistungen kurzfristig an die tatsächlichen Bedarfe angepasst werden muss. „Schulform, Ort und Klasse müssen in die Berechnung einfließen“, so Tepe. Von den 823.000 Schülern an allgemeinbildenden Schulen in Niedersachsen wäre jeder fünfte Schüler von Armut betroffen, erklärt Feld. Das Problem der fehlenden Leistungen könnte mit 16,4 Millionen Euro aus der Welt geschaffen werden. „Eine durchaus überschaubare Summe und nicht überzogen“, sagt Feld. Er wies noch einmal darauf hin, dass Bildungsunterschiede mit der Finanzsituation der Eltern zusammenhänge beklagenswert sei.

Forderung: Sensibilisierung der Lehrkräfte

Schulen und Lehrer sollen beim Thema Armut und soziale Bedürftigkeit noch sensibler werden.

Forderung: Lernmittelfreiheit

Langfristig fordern die oldenburgischen Landesverbände von Diakonie und Caritas eine grundsätzliche Schulmittelbefreiung. Nur so könnten den Kindern unabhängig vom Einkommen der Eltern gleiche Bildungschancen gewährt werden.

Wie geht es weiter?

Die beiden Wohlfahrtsverbände wollen Gespräche mit Politikern auf Bundes- und Landesebene führen und auch mit den Landesschulbehörden sprechen. „Ich habe die Hoffnung, dass die Schicksale gelten. Wir können mit dieser Auswertung ganz konkret belegen, dass das Geld aus dem Bildungs- und Teilhabepaket nicht reicht“, sagt Franz-Josef Franke.

Teilnehmer für ganzjährige Bedarfsermittlung gesucht

In die erste Auswertung waren nur die Kosten zum Schulbeginn eingeflossen. Um die tatsächlichen Kosten für Schulbedarf über ein ganzes Jahr zu ermitteln, suchen Diakonie und Caritas mindestens 50 Eltern, die über die Ausgaben ein Jahr lang Buch führen. Eltern, die sich an der Ermittlung der tatsächlichen Kosten beteiligen wollen, können sich unter den E-Mail-Adressen fangmann@lcv-oldenburg.de oder frerk.hinrichs@diakonie-ol.de melden. Alle Teilnehmer bekommen nach Beendigung der Studie als Dankeschön einen Büchergutschein.

BU

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