Menschen

Der Plattdeutsch sprechende Grieche

Erst 17 Jahre war Chrisanthos Kesoglou als er 1961 aus Saloniki nach Ganderkesee kam. Er bekam eine Ausbildungsstelle in einer Uhrenfabrik.

Chrisanthos Kesoglou.
Foto: Katrin Zempel-Bley

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Stenum (zb) – Erst 17 Jahre war Chrisanthos Kesoglou als er 1961 aus Saloniki in die Gemeinde Ganderkesee kam. Als er von der Ausbildungsstelle in einer Uhrenfabrik in Hollen hörte, war er sofort bereit, seine Heimat für drei Jahre zu verlassen. „Ich versprach mir eine Menge von Deutschland und verzichtete auf mein Abitur“, erzählt er. Von seiner griechischen Heimat erhoffte er sich nicht allzu viel. Also machte er sich mit drei anderen jungen Griechen auf den Weg und landete schließlich in der Gemeinde Ganderkesee. Und was verband er mit Deutschland? „Wir wussten, dass es dort Waschmaschinen und gute Autos gibt“, erinnert er sich und schmunzelt.

„Ich teilte mir mit anderen eine Dachwohnung in einer Gaststätte und war anfangs deprimiert“, erinnert er sich. „Der Kontrast zwischen Thessaloniki und diesem Dorf war enorm. Für mich brach eine Welt zusammen.“ Doch sein vermutlich angeborener Optimismus ließ ihm keine Zeit zum Grübeln. Der junge Mann nahm sämtliche Herausforderungen an, mischte sich unter die Menschen und blieb nicht lange allein. „Der liebe Gott hat seine Hand über mich gehalten“, ist er überzeugt.

Schnell entdeckte er den örtlichen Fußballverein. „Dort habe ich mich eingemischt und die Jungs haben mir zu verstehen gegeben, ich sollte nicht reden sondern mitspielen.“ Gesagt, getan – kurz darauf stand der 17-Jährige als Spieler auf dem Feld und das war sein Durchbruch. „Fußball ist ein Integrationssport“, sagt Chrisanthos Kesoglou. „Auf dem Platz ist es egal, woher du kommst, du musst spielen können. Und das konnte ich einigermaßen.“

Fußball entpuppte sich schon 1962 als Integrationshilfe. Auch Chrisanthos Kesoglou fand so schnell Anschluss.

Fußball entpuppte sich schon 1962 als Integrationshilfe. Auch Chrisanthos Kesoglou (vorne links) fand so schnell Anschluss.
Foto: Dialogos – Griechisch-Deutscher Kulturverein für Delmenhorst und Umgebung

So lernte er nicht nur die jungen Leute aus Hollen und Umgebung kennen, er lernte vor allem die deutsche Sprache. „Nach wenigen Monaten konnte ich mich gut verständigen. Sprachkurse gab es damals noch nicht“, erzählt er weiter und kann sich nicht erinnern, jemals diskriminiert worden zu sein. Vermutlich haben Chrisanthos Kesoglous offene und herzliche Art aber auch sein gesundes Selbstvertrauen maßgeblich dazu beigetragen. Er war neugierig auf das neue Leben, wollte es zu etwas bringen und vor allem Verantwortung übernehmen.

Von den Uhren wechselte er später zu den Baggern. Eine Ganderkeseer Firma suchte Baggerfahrer und im Nachhinein war das sein Glück. Schnell war er auf den Maschinen in seinem Element und das erkannte auch der Firmenchef. Chrisanthos Kesoglou entpuppte sich als Spezialist. Er beherrschte die Bagger und bald wurden ihm immer kompliziertere Aufgaben anvertraut. Obwohl er mittlerweile Rentner ist, sitzt der 70-Jährige zwischendurch immer wieder auf den Maschinen – vor allem wenn es kompliziert wird, wird er immer noch gerufen. „Ich habe noch auf einem Seilzugbagger gelernt. Heute gibt es nur noch Hydraulikbagger“, erzählt er und schwärmt von der Elektronik. „Das sind Welten zwischen damals und heute.“

Recht bald nach seiner Ankunft in Hollen lernte er Irene Geerken kennen. Aus ihrer Freundschaft entwickelt sich Liebe, die bis heute hält. „Ohne Irene hätte ich das alles nicht so hinbekommen“, sagt er und ist glücklich über die Entwicklung. 1969 heiraten die beiden in Bookholzberg. Doch zuvor müssen sie noch eine größere Hürde überwinden. 1965 wird er für zwei Jahre zum Militärdienst einberufen. Irene Geerken, mit der er inzwischen verlobt ist, geht mit ihm in seine Heimat und lernt Land, Leute und die Sprache kennen. Unmittelbar vor der Militärdiktatur waren sie wieder in Deutschland.

Die griechisch-deutsche Eheschließung von Irene Geerken und Chrisanthos Kesoglou war 1969 etwas Besonderes.

Die griechisch-deutsche Eheschließung von Irene Geerken und Chrisanthos Kesoglou war 1969 etwas Besonderes.
Foto: Dialogos – Griechisch-Deutscher Kulturverein für Delmenhorst und Umgebung

Das war eine wertvolle Zeit für das Paar, denn beide kennen sich seither in der Welt des anderen aus. „Meine Frau hat sich sehr schnell zurecht gefunden“, erzählt er bewundernd. Bis heute ist es selbstverständlich, dass sie mehrere Wochen in ihrem Haus in Griechenland zubringen, die griechische Familie treffen und die dortige Kultur genießen. Sie leben in zwei Welten und zum Glück hat er nicht mehr dieses quälende Heimweh wie anfangs, als er in seiner Dachwohnung in Hollen saß. „Damals haben mir die vielen anderen griechischen Zuwanderer in Delmenhorst und Umgebung geholfen. Wir haben Griechisch gesprochen und unsere Lieder gesungen und so etwas wie Heimat gespürt, wodurch das Heimweh gelindert wurde“, erzählt er, der von seinen Freunden kurz „Taki“ genannt wird.

Seinen Schritt, nach Deutschland zu gehen, hat er dennoch nie bereut. „Ich habe hier meine Frau gefunden, eine Familie mit drei Kindern gegründet, eine gute Arbeit gehabt und Heimatgefühle entwickelt. Ich bin hier zu Hause und komischerweise sind mein Schwiegervater und meine Frau anfangs schief angeguckt worden als klar war, dass es Irene und mir ernst ist“, erinnert er sich. „Es war damals ungewöhnlich, wenn eine Deutsche einen Griechen heiratete.“

Aber die Bedenken waren schnell vom Tisch. „Die Menschen müssen sich kennenlernen“, ist Chrisanthos Kesoglou überzeugt. „Nur so können Vorurteile abgebaut und überwunden werden. In unserem Fall ging das sehr schnell.“ Doch Vorurteile halten sich mitunter hartnäckig. Das musste sogar noch seine Tochter anfangs in der Schule erleben. Da wurde sie wegen ihres griechischen Vaters als Ausländerin diskriminiert.

Was gefällt Chrisanthos Kesoglou am besten an seiner deutschen Heimat? „Ehrlichkeit, Sauberkeit und die Verwaltung“, sagt er spontan und erzählt von der Korruption in Griechenland, die er für ein riesiges Problem hält. „In Deutschland gelten Gesetze, da hat jeder Bürger einen rechtlichen Anspruch. Ob es um eine Baugenehmigung oder um irgendeine Bescheinigung geht. Hier muss niemand einen Umschlag auf den Tisch legen. Deshalb funktioniert dieser Staat, und ich schätze die Verwaltung außerordentlich, weil ich andere Verhältnisse kenne und es bedauere, welche Entwicklung Griechenland genommen hat und immer noch nicht aus der Misere herauskommt.“

Chrisanthos Kesoglou hält die Eigenverantwortung für maßgeblich. „Jeder muss seiner eigenen Verantwortung gerecht werden. Es macht keinen Sinn, alles auf den Staat zu schieben. Zumal in der Eigenverantwortung eine große Chance für jeden steckt“, ist er überzeugt. Und was hat es mit der Sauberkeit auf sich? „Hier liegt kein Müll in Gräben oder an irgendeiner Straße herum. Hier weiß nicht nur jeder, wo der Müll hingehört, hier gibt es ein Bewusstsein dafür, die Umwelt zu schonen und sich damit selbst einen Gefallen zu tun. Davon sind die Griechen leider weit entfernt“, bedauert er.

Und was bedeuten ihm Deutschland und Stenum, wo er lebt? „Ich liebe dieses Land und die Sprache und als ich gemerkt habe, dass bei jenen, die Plattdeutsch sprechen, immer auch ein bisschen Heimat aufblitzt, habe ich angefangen, VHS-Kurse zu belegen, um diesen Menschen und ihren Gefühlen näher zu sein“, erzählt er. Seit zehn Jahren lernt der Grieche Plattdeutsch und beherrscht es mittlerweile sehr gut. „Diese Sprache hat mir auf den Baustellen aber auch im Dorf oft geholfen, einen besseren Zugang zu den Menschen zu bekommen. Ich meine, sie besser zu verstehen und habe längst Gefallen am Plattdeutschen gefunden. Heute versäume ich kein plattdeutsches Theaterstück und wirke auch im Heimatverein Delmenhorst mit“, erzählt er.

Das war für viele Griechen kein leichter Abschied, als sie Anfang der 1960er Jahre ihre Heimat mit Ziel Delmenhorst verließen, um dort als Gastarbeiter tätig zu sein.

Das war für viele Griechen kein leichter Abschied, als sie Anfang der 1960er Jahre ihre Heimat mit Ziel Delmenhorst verließen, um dort als Gastarbeiter tätig zu sein.
Foto: Dialogos – Griechisch-Deutscher Kulturverein für Delmenhorst und Umgebung

Chrisanthos Kesoglou gehörte zu den ersten sogenannten Gastarbeitern, die nach Deutschland kamen und von denen viele geblieben sind, weil sie Freunde gefunden und eine Familie gegründet haben und die neue Heimat durchaus zu schätzen wissen. „Hier ist meine Familie, hier sind meine Freunde, hier fühle ich mich wohl und ich habe diesem Land auch viel zu verdanken.“

Seine Enkelkinder können über seine Lebensgeschichte nur staunen. Er hofft, dass Europa und speziell auch Deutschland Flüchtlinge weiterhin aufnehmen, sie schnell integrieren und viel mehr über das Thema sachlich sprechen, denn nur so können seiner Erfahrung nach Ängste und Vorurteile abgebaut werden. „Meine Reise nach Deutschland hat mich jedenfalls bereichert“, stellt er abschließend fest. Und dazu hat er selbst eine Menge beigetragen. Nicht zuletzt deshalb, weil er offen auf die Menschen zugegangen ist und Verantwortung übernehmen und tragen für ihn ein Wert an sich ist.

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