Fall Lorenz A.: Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen Polizisten

Foto: Wirestock
Oldenburg (am/pm/ki) Die Staatsanwaltschaft Oldenburg hat Anklage gegen einen Polizeibeamten erhoben, der am Ostersonntag in der Innenstadt einen 21-jährigen Mann durch Schüsse tödlich verletzt hat. Dem Beamten wird fahrlässige Tötung vorgeworfen. Er habe angenommen, mit einem Messer angegriffen zu werden, und sich in einer Notwehrlage geglaubt.
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Tatsächlich bestand laut Anklageschrift keine akute Bedrohung mehr: Der Mann habe zwar Reizgas eingesetzt und ein Messer mitgeführt, dieses aber nicht verwendet. Er habe lediglich fliehen wollen.
Tödliche Schüsse in der Innenstadt
Der Vorfall geschah am Sonntag, 20. April, gegen 2.40 Uhr in der Oldenburger Innenstadt. Nach einer Auseinandersetzung vor einer Diskothek flüchtete der 21-jährige Lorenz A. vor der Polizei und setzte dabei Reizgas ein. In einer Seitenstraße traf er auf eine Polizeistreife. Der Beamte gab fünf Schüsse ab. Lorenz A. wurde mindestens dreimal getroffen und tödlich verletzt.
Die Obduktion ergab Schussverletzungen im Bereich von Hüfte, Oberkörper und Kopf. Ein vierter Schuss streifte den Oberschenkel. Lorenz A. starb wenig später im Krankenhaus.
Keine Notwehrlage mehr
Nach Abschluss der Ermittlungen geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass zum Zeitpunkt der Schüsse keine Notwehrlage mehr bestand. Der Beamte sei irrtümlich davon ausgegangen, mit einem Messer angegriffen zu werden. Dies stelle eine sogenannte Putativnotwehrlage dar – ein Irrtum über das Vorliegen einer Bedrohung.
Das Opfer hatte laut Anklageschrift zwar Reizgas eingesetzt und ein Messer mitgeführt, es aber nicht gezogen. Statt eines Angriffs habe der Mann lediglich einer Festnahme entgehen wollen. Die Staatsanwaltschaft kommt daher zu dem Schluss, dass der Irrtum des Beamten vermeidbar war.
Anklage wegen fahrlässiger Tötung
Der Vorwurf lautet auf fahrlässige Tötung gemäß § 222 Strafgesetzbuch. Die mögliche Strafe reicht bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe. Die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens liegt nun beim Landgericht Oldenburg.
Ein vorsätzliches Tötungsdelikt sieht die Staatsanwaltschaft nicht. Sie geht nicht davon aus, dass der Beamte mit Tötungsabsicht handelte.
Stellungnahme des Polizeipräsidenten
Der Präsident der Polizeidirektion Oldenburg, Andreas Sagehorn, äußerte sich nach Bekanntgabe der Anklage öffentlich. Er betonte, dass die strafrechtliche Aufarbeitung nun vor Gericht erfolgen müsse. Das Verfahren könne den Angehörigen und Freunden des Getöteten helfen, das Geschehen zu verarbeiten.
Sagehorn erinnerte an die Unschuldsvermutung und verwies auf die vollständige, transparente und neutrale Zusammenarbeit der Polizei mit der Staatsanwaltschaft. Diese Zusammenarbeit sei in der öffentlichen Debatte wiederholt infrage gestellt worden.
Öffentliche Diskussion
Der Fall hat weit über Oldenburg hinaus Aufmerksamkeit ausgelöst. In der öffentlichen Debatte wird auch über strukturellen Rassismus bei Polizeieinsätzen diskutiert, da der Getötete Schwarz war. Kritisch hinterfragt werden insbesondere die Verhältnismäßigkeit des Schusswaffeneinsatzes, das Fehlen von Warnschüssen und mögliche strukturelle Konsequenzen. Auch die Schulung im Umgang mit Fluchtsituationen und Reizgas steht zur Debatte.




