Politik

Krankenhäuser vor der Zerreißprobe

Mit LKW wird symbolisch ein Krankenhausbett auseinandergezogen, um die personellen und finanziellen Belastungen der Krankenhäuser darzustellen.

Mit LKW wird symbolisch ein Krankenhausbett auseinandergezogen, um die personellen und finanziellen Belastungen der Krankenhäuser darzustellen.
Foto: Chiara Risse

Oldenburg (Chiara Risse/pm) Auf dem Waffenplatz haben unter dem Motto „Krankenhäuser stehen vor der Zerreißprobe“ Vertreter/innen der Krankenhäuser auf die aktuelle Situation aufmerksam gemacht. Inflation und Pandemie: Die Lage spitzt sich derzeit bedrohlich zu. Neben dem Fachkräftemangel und der ausufernden Bürokratie stellt die unzureichende Finanzierung eine Belastung der Kliniken dar. Jetzt wird akute Hilfe von der Politik erwartet. Die niedersächsischen Krankenhäuser haben gemeinsam mit der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft (NKG) landesweite Aktionen in ganz Niedersachsen veranstaltet.

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Die wirtschaftliche Situation der Krankenhäuser verschlechtert sich zunehmend. Umfragen der NKG zufolge sind inzwischen mehr als drei Viertel der niedersächsischen Krankenhäuser mittel- bis langfristig existenzgefährdet. In den Vorjahren traf das auf rund zwei Drittel der Krankenhäuser zu. Fraglich sei, wie die stationäre Versorgung unter den gegenwärtigen Bedingungen weiterhin gewährleistet werden kann, so die NKG. Angesichts einer erneut drohenden Pandemiewelle im Herbst und Winter ist kurzfristig ein Inflationsausgleich zur wirtschaftlichen Absicherung der Krankenhäuser erforderlich. „Die Situation der Krankenhäuser ist so angespannt wie nie zuvor. Im Gegensatz zu anderen Branchen können wir die Preissteigerungen nicht an die gesetzlichen Krankenkassen oder andere Kostenträger weitergeben. Die gesetzlichen Vorgaben sehen weder Nachverhandlungen noch spätere Ausgleiche vor. Die Krankenhausvergütungen sind auf einen maximalen Preisanstieg für das Jahr 2022 auf 2,32 Prozent eingefroren“, sagte Dr. Alexander Poppinga, Vorstand des Evangelischen Krankenhauses Oldenburg in seiner Funktion als stellvertretender Geschäftsführer der Bezirksarbeitsgemeinschaft Oldenburg der NKG.

Die Vertreter/innen der Krankenhäuser erklärten, dass aufgrund des starren Finanzierungssystems die Krankenhäuser entstandene Mehrkosten nicht in Form von Preiserhöhungen weitergeben könnten. Parallel dazu hätten die Kliniken nach wie vor mit gravierenden personellen und wirtschaftlichen Belastungen infolge der Corona-Pandemie zu kämpfen. Seit dem ersatzlosen Auslaufen des Corona-Rettungsschirms im Juni würden die finanziellen Einbußen nicht mehr abgefedert. Über die Hilfsmaßnahmen hinaus, müsse mittelfristig das System der Krankenhausfinanzierung durch den Bund reformiert werden. Dieses setze Fehlanreize und habe den Krankenhäusern im bisherigen Verlauf der Pandemie Defizite beschert, die nicht zu kompensieren seien. Angesichts eines Investitionsstatus von 2,5 Mrd. Euro für Krankenhausbauprojekte in Niedersachsen sei darüber hinaus eine dauerhafte Erhöhung der Investitionsmittel durch das Land erforderlich. Wichtige Investitionen etwa für Digitalisierung und Klimaschutz könnten die Krankenhäuser nicht aus eigener Kraft aufbringen.

Die Existenz von drei Viertel der niedersächsischen Krankenhäuser ist gefährdet. Dr. Alexander Poppinga (links) und Dr. Martin Pohlmann machen auf die Situation aufmerksam.
Foto: Chiara Risse

Die Beschäftigten in den Krankenhäusern sind im dritten Jahr der Pandemie mit ihren Kräften am Ende. Personalausfall und Fachkräftemangel würde die Situation erschweren. „Mit Blick auf den Herbst ist das mehr als besorgniserregend. Das Klinikpersonal muss schnellstmöglich entlastet werden, zum Beispiel von unnötigen und bürokratischen Dokumentationspflichten. Die gewonnene Zeit kann so unmittelbar für die Patientenversorgung genutzt werden“, betonte Dr. Martin Pohlmann vom Landes-Caritasverband für Oldenburg. Das politische Versprechen eines Pflegebudgets für die vollständige Finanzierung und damit bessere Arbeitsbedingungen der Pflegenden, sei nur unzureichend eingelöst worden. Aufgrund derzeit geplanter Haushaltskürzungen auf Bundeseben bestünde sogar die Gefahr, dass für weitere Berufsgruppen in der Pflege die Reinfinanzierung entfällt. „Ohne ein schnelles und strukturiertes Eingreifen der politisch Verantwortlichen ist die Patientenversorgung der Menschen in unserer Region ernsthaft gefährdet. Das müssen und können wir gemeinsam verhindern. Es geht um das Überleben unseres Gesundheitssystems und die Sicherstellung der guten Versorgung für die Menschen – nicht mehr und nicht weniger!“, unterstreichen Pohlmann und Poppinga den Ernst der Lage.

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1 Kommentar

  1. W. Lorenzen-Pranger
    4. September 2022 um 0.40 — Antworten

    „Über die Hilfsmaßnahmen hinaus, müsse mittelfristig das System der Krankenhausfinanzierung durch den Bund reformiert werden.“

    Soll das auch für die Häuser gelten, die privatisiert sind und doch Gewinne abwerfen sollten? Meine Ehefrau hats vor Kurzem erlebt: Wartezeit in der Notaufnahme (!) gut fünf Stunden! Es ist eine absolute Frechheit, was da passiert – und wo ist eigentlich der zuständige Minister? Der phantasiert nächtens von ungeheuren Infektionswellen, an die in Europa kaum ein anderes Land zu recht überhaupt noch denkt, verstrickt sich in irrwitzige Widersprüche und tut offenbar nichts, was seinem Amt sachlich angemessen wäre. In was für einem Irrenhaus leben wir hier eigentlich inzwischen? Sozialstaat? Gabs das überhaupt hier schon mal?

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