Oldenburg

Kohlkönig Boris – Fluch oder Segen?

Verteidigungsminister Boris Pistorius ist in Oldenburg kein Unbekannter. 2022 hat er – noch als niedersächsischer Innenminister – Fokkis Weidenfest besucht.
Archivfoto: Christina Boje

Oldenburg (Michael Exner) Die Vorzeichen versprechen Spannung. Wenn bei der 65. Auflage des „Defftig Ollnborger Gröönkohl-Ätens“ am Dienstag in der Niedersachsen-Vertretung in Berlin Verteidigungsminister Boris Pistorius zum Grünkohlkönig gewählt wird, dann schwingt zwischen Kohl und Kassler bei Bier und Korn stets eine Frage mit: Was bringt die neue Würde für die Karriere des Sozialdemokraten – Fluch oder Segen? Markiert das ebenso traditionelle wie üppige Mahl vielleicht gar eine Zeitenwende?

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Die Fragestellung hat eine Vorgeschichte. Lange Zeit galt als gesicherte Erkenntnis, dass man erst Oldenburger Grünkohlkönig werden musste, um danach richtig Karriere zu machen: so etwa Gerhard Schröder (König 1992/Kanzler 1998), Joschka Fischer (1996/Außenminister 1998) Angela Merkel (2001/Kanzlerin 2005), Christian Wulff (2005/Bundespräsident 2010) und der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier (2008/2017 bis heute Bundespräsident).

Dann aber fielen Schatten auf das Bild. In jüngerer Vergangenheit haben etliche Majestäten nach ihrer Regentschaft Ämter oder Titel und bisweilen sogar beides verloren: etwa die Ex-Bundesminister Annette Schavan (CDU/2009), Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU/2010), Philipp Rösler (FDP/2011), Peter Altmaier (CDU/2013) und natürlich Christian Wulff, der im Amt des Bundespräsidenten ja nicht übermäßig alt geworden ist. Zuvor musste schon Sigmar Gabriel (SPD) nur ein Jahr nach seiner Wahl zum Kohlkönig (2002) das Amt des niedersächsischen Ministerpräsidenten abgeben.

Und dann waren da noch die besonders tragischen Fälle, bei denen die Kohlwürde erst zum Karriere-Booster wurde, bevor der jähe Absturz folgte. Den Anfang machte Andrea Nahles, die 2017 als Bundesarbeitsministerin zur Königin gekrönt wurde, dann zur SPD-Vorsitzenden avancierte und schließlich im parteiinternen Durcheinander 2019 unterging. Den Schlusspunkt setzte Franziska Giffey (SPD), die 2020 als Bundesfamilienministerin und „Frau Dr.“ den Thron bestieg (und wegen Corona länger amtierte) und ein Jahr später Regierende Bürgermeisterin von Berlin wurde. Von da an ging’s bergab. Erst verlor sie den Doktor-Titel, dann Wiederholungswahl und Regierungsführung (rettete sich aber zumindest noch in den neuen Senat).

Bei zwei Majestäten der jüngeren Zeit harrt die Frage von Fluch oder Segen noch der Entscheidung. Als er 2019 gewählt wurde, war Robert Habeck noch Bundesvorsitzender der Grünen. Inzwischen ist er Bundeswirtschaftsminister, hat aber aktuell nicht unbedingt den allerbesten Lauf. Der noch amtierende König Christian Lindner (FDP) war bei seiner Wahl bereits Bundesfinanzminister; wie lange er das bleibt, darüber macht sich mancher so seine Gedanken.

Nun also Pistorius ante portas. Der hat schon eine beachtliche Karriere absolviert. Erst zehn (durchweg erfolgreiche) Jahre als niedersächsischer Innenminister in zwei unterschiedlich gefärbten Koalitionen, dann vor gut einem Jahr der Sprung an die Spitze des Verteidigungsministeriums. Was kann (außer Absturz) da groß noch kommen? Nun ja, Pistorius hat es in Rekordzeit zum beliebtesten Politiker der Bundesrepublik gebracht – und das als Mitglied einer Regierung, bei der in Sachen Beliebtheit (vorsichtig formuliert) noch etwas Luft nach oben wäre. An der Spitze dieses Kabinetts steht als Bundeskanzler ein gewisser Olaf Scholz, bei dem die ganze Nation auf Lieferung wartet, seit er mal verkündet hat, wer bei ihm Führung bestelle, der bekomme sie auch – was ihn (ganz nebenbei) vom gastgebenden Oldenburger Oberbürgermeister Jürgen Krogmann unterscheidet. Bei dem beschweren sich Politik und Verwaltung mitunter darüber, dass sie Führung bekommen, obwohl die niemand bestellt hat.

Die aktuelle Lage der Ampel beschreibt am besten eine Zeile aus einem alten Song der Dubliners: „The bear was long dead, before he got ill“. Kein Wunder, dass angesichts dieser Konstellation in der Bundespolitik das Nachdenken darüber zunimmt, ob die Führung in der Beliebtheitsskala die einzige Spitzenposition für Boris Pistorius bleiben sollte. Der Anfang dazu wäre jedenfalls gemacht.

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2 Kommentare

  1. Erhard Stammberger
    8. Februar 2024 um 13.33 — Antworten

    Da Pistorius Deutschland ja kriegstauglich machen will, sollte er besser Kommissbrotkönig werden.

  2. Martin
    9. Februar 2024 um 20.41 — Antworten

    Skandalös moralbefreite Egomanen in konstanter Reihung.

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