Gesundheit

Neues Leben durch Spenderlunge

Anja Maria Gieselmann lebt mit einer Spenderlunge.
Foto: Katrin Zempel-Bley

Oldenburg (zb) Seit zwei Jahren lebt Anja Maria Gieselmann mit einer Spenderlunge und ist dem Spender unendlich dankbar dafür. Er hat ihr das Leben gerettet.

Anzeige

Jahrelang hat sie unter Lungenbeschwerden gelitten. Die Atemnot wurde immer größer, so dass sie erst nachts und später dauernd Sauerstoff benötigte. Eines Tages erklärten ihr die Ärzte, dass sie eine Spenderlunge benötigt. „Das war ein Schock für mich“, erzählt sie. „Mir wurde klar, dass meine Lunge nicht mehr zu gebrauchen war.“

Viele Gedanken gingen der damals 52-Jährigen durch den Kopf. „Die Vorstellung, meine Lunge wird durch ein fremdes Organ ausgetauscht, machte mir Angst. Hinzu kam die Sorge über meine mittlerweile sehr schlechte Gesundheit und ob es überhaupt ein Spenderorgan geben würde. Ich konnte inzwischen fast nichts mehr tun, war bei jeder Kleinigkeit atemlos und entsprechend schwach.“

Ihr Hausarzt hat sich damals um alles gekümmert. Es wurden zahlreiche Untersuchungen gemacht und an die Medizinische Hochschule nach Hannover geschickt. Im Oktober 2011 musste sie sich vorstellen, was die reinste Prozedur war. „Dort bin ich von Kopf bis Fuß untersucht worden. Unter anderem wurden Magen und Darm gespiegelt und ein Herzkatheter geschoben. Erst als feststand, dass ich – abgesehen von meiner Lunge – gesund bin, kam ich im Dezember auf die Warteliste und musste sofort in die Reha nach Fallingbostel. Dort erfuhr ich alles zum Thema Transplantation und wurde körperlich trainiert. Sogar mein Mann musste für ein paar Tage kommen und sich informieren“, erinnert sie sich. „Denn eine Organtransplantation macht nur Sinn, wenn optimale Aussichten bestehen, also die ganze Familie mitzieht.“ So müssen sich Transplantierte z.B. zwingend an einen bestimmten Speiseplan halten und strenge Hygieneregeln einhalten.

Am 2. Februar 2012 klingelte um 5 Uhr ihr Telefon. Sie erfuhr, dass es vermutlich eine Spenderlunge für sie gibt. „Ich lag im Bett und konnte kaum sprechen. Ich habe eine Stunde an die Decke gestarrt und mir versucht klarzumachen, was gerade passiert ist.“ Kurze Zeit später klingelte es wieder. Die Spenderlunge war für Anja Maria Gieselmann wahrscheinlich geeignet. Sie musste sich sofort auf den Weg nach Hannover machen. Dort angekommen wurde sie auf die Operation vorbereitet und erst um 14.30 Uhr gab es grünes Licht. Da stand fest, dass alle Merkmale passen.

Rund zehn Stunden hat die Transplantation gedauert. Die Anspannung bei ihrer Familie war erheblich und verflüchtigte sich erst nach dem erlösenden Anruf aus Hannover. Der Eingriff war erfolgreich, sie konnte auf der Intensivstation besucht werden. „Als ich aufgewachte, hatte ich ein neues Lebensgefühl. Ich konnte problemlos ein- und ausatmen, einfach unbeschreiblich“, erzählt sie und staunt über diese medizinische Leistung. „Ich fühle mich jeden Tag wie Hans im Glück“, verrät sie und freue mich über mein neu geschenktes Leben, das ich hege und pflege.“ Bereits nach drei Wochen kam sie in die Reha und konnte danach ein normales Leben in den eigenen vier Wänden führen.

„Die Spenderlunge ist ein unglaubliches Geschenk“, findet sie. Über den Spender oder die Spenderin weiß sie gar nichts und wird es auch nie erfahren. Um einem Organspender Organe entnehmen zu dürfen, müssen zwei unabhängig voneinander arbeitende Ärzte den Hirntod feststellen. Von 400.000 verstorbenen Menschen trifft das auf ein Prozent von ihnen zu. Also nur sie kommen für eine Organspende in Frage.

In den ersten zwei Jahren musste Anja Maria Gieselmann alle drei Monate nach Hannover zur Kontrolle fahren. Ihr Hausarzt muss alle zwei Wochen Blut abnehmen und nach Hannover schicken. Außerdem muss sie verschiedene Medikamente einnehmen und sich weiterhin an ihren Speiseplan und Hygieneregeln halten. Sie muss täglich Fieber, Blutdruck, Puls und die Sauerstoffsättigung messen und bei Abweichungen sofort die Klinik informieren, was bislang nicht der Fall war. Schwimmbadbesuche sind wegen der Pilzgefahr tabu. Im Meer baden darf sie. Auch sonst kann die 54-Jährige wieder alles machen, was ihr gefällt. Dazu gehört auch Fahrradfahren. Immer noch ein tolles Gefühl für sie, nicht gleich außer Atem zu sein.

Obwohl bei ihr alles bilderbuchmäßig verlaufen ist, kann sich das auch ändern. „Ich lebe mit diesem Gedanken und komme ganz gut klar damit“, sagt sie. „Die Auflagen halte ich alle penibel ein in der Hoffnung, dass ich noch viele Jahre mit meiner Spenderlunge gut leben kann.“ In Hannover im Transplantationszentrum hat sie schon Leute getroffen, die seit 25 Jahren mit einer Spenderlunge leben. „Das macht Hoffnung“, sagt sie.

Sie wünscht sich, dass viel mehr Menschen über ihre Transplantation sprechen. „Mir hat der Schlagersänger Roland Kaiser sehr geholfen. Er hat auch eine neue Lunge bekommen und ist später sogar wieder auf Tournee gegangen. Ich konnte das kaum glauben, als ich davon hörte. Ein paar Monate später war ich an der Reihe und habe mich an ihn erinnert. Das hat mir sehr motiviert.“

Noch bevor Anja Maria Gieselmann in den OP geschoben wurde, hat sie ihrem Mann und den Ärzten gesagt, dass sie – sollte etwas schief gehen – Organe spenden würde. „Wer so ein Geschenk bekommt, der muss auch bereit sein, ein gleichwertiges Geschenk zu geben“, findet sie und hofft, dass viele Menschen über die Möglichkeit einer Organspende nachdenken und sich bei den zuständigen Stellen darüber informieren. „Ich weiß aus Erzählungen, dass in vielen Köpfen die schlimmsten Geschichten herumgeistern. Das ist bedauerlich. Da müsste viel mehr aufgeklärt werden“, sagt sie abschließend.

Zahl der Organspender weiter stark gesunken

Wie die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) berichtet, hat sich der starke Rückgang der Organspenden in 2012 in 2013 noch dramatisch verschärft. Die Zahl der Organspender ist bundesweit um 16,3 Prozent von 1046 Spender in 2012 auf 876 gesunken. Dies entspricht einem Durchschnitt von 10,9 Spendern pro eine Million Einwohner, in 2012 waren es noch 12,8 Spender pro eine Million Einwohner. Die Summe der gespendeten Organe sank von 3511 im Jahr 2012 auf 3.034 in 2013 (-13,6 Prozent). Im vergangenen Jahr wurden insgesamt 3247 Spenderorgane aus dem Eurotransplant-Verbund in Deutschland transplantiert, im Jahr 2012 waren es noch 3706. Der Rückgang der Organspenderzahlen zieht sich durch alle DSO-Regionen, wobei er in der Region Nord-Ost mit 9,7 Prozent am niedrigsten ausfällt und in Bayern mit 23,9 Prozent am höchsten.

Vorheriger Artikel

Tag der Archive: Unterwegs auf spannenden Spuren

Nächster Artikel

Tonnenwende: ARGE rechnet im April mit Sammelverbot

Keine Kommentare bisher

Einen Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.