Stadtspaziergang: Zehn Frauen – Zehn Erinnerungen

„Zukunftsmusik – Wir werden uns erinnert haben“ ist ein Stadtspaziergang der Sparte 7 vom Oldenburgischen Staatstheater. Der Audiowalk führt zu Erinnerungsorten berühmter Oldenburger Frauen wie Helene Lange.
Foto: Volker Schulze
Oldenburg (vs) Das Erinnern ist so eine Sache für sich. An wen, wie und warum erinnern wir uns? Jeder Mensch erinnert sich individuell aus der eigenen Perspektive und der eigenen Geschichte. Im öffentlichen Raum wird meist an Persönlichkeiten in Form von Straßennamen, Plätzen, Monumenten oder Gedenktafeln erinnert. Was ist aber, wenn Gedenken in dieser Art zum öffentlichen Gesprächsthema wird und zu kontroversen Diskussionen führt und Stellungnahmen einfordert?
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„Zukunftsmusik – Wir werden uns erinnert haben“ ist eine aktuelle Produktion der Sparte 7 des Oldenburgischen Staatstheaters und beschäftigt sich in einem Audiowalk durch die Oldenburger Innenstadt mit dem Thema Erinnern und Gedenken. Anlass ist aber kein Geburtstag oder Feiertag oder Ähnliches. Die öffentliche Diskussion um den Namen Edith Ruß und dem nach ihr benannten Kunsthaus in der Katharinenstraße sowie das großformatige Wandbild an der Unterführung in Oldenburg-Wechloy mit zehn berühmten Frauen der Stadt hat die Audiokünstlerin Katharina Pelosi zu dieser Produktion geführt. Wenn auch das Edith Ruß Haus mittlerweile den Namen Haus für Medienkunst trägt, so ist das Porträt von Edith Ruß mit ihrer zweifelhaften Gesinnung zum Nationalsozialismus in Oldenburg immer noch als Graffitti zu sehen. Auch die gebürtige Oldenburgerin Erna Schlüter, die 1922 als Sopranistin ihr Debüt am Oldenburgischen Staatstheater gab und Mitglied in der „Liste gottbegnadeter Künstler“ der Nationalsozialisten war, ist auf dem Wandbild verewigt. Nach dem ersten Gemälde auf der gegenüberliegenden Straßenseite in Wechloy auf dem ausschließlich berühmte Männer der Stadt verewigt wurden, entstand zwei Jahre später die Debatte über ein Wandbild mit Frauen. Aus 17 Vorschlägen wurden zehn berühmte Frauen aus Oldenburg ausgewählt und Ende 2023 wurde das Gemälde fertiggestellt. Jetzt erinnert die Sparte 7 an diese Frauen auf besondere Weise.
Audiowalk: Erinnern für die Zukunft
Wie wird Geschichte im öffentlichen Raum erzählt? Was verschweigen die Spuren? Muss das Erinnern im öffentlichen Raum neu gedacht werden? Wer entscheidet welche Menschen zur Stadtgeschichte gehören und welche nicht? Was ist eine gebrochene Biografie? Muss erinnern erkämpft werden? Auf diese Fragen und Gedanken nimmt der Stadtspaziergang die Gäste in Form eines Audiowalks mit. In 75 Minuten und mit Kopfhörern ausgestattet, bekommen sie eine Geschichte aus der Zukunft, verbunden mit der Vergangenheit, erzählt. An die zehn Frauen auf dem Wandbild Helene Lange, Heike Fleßner, Sara-Ruth Schumann, Emma Ritter, Edith Ruß, Helga Neuber, Anna Feilner, Willa Thorade sowie Elisabeth Frerichs und Erna Schlüter wird auf sehr lebendige, interessante und kritische Art erinnert. Es geht zu verschiedenen Erinnerungsorten wie unter anderem der Büste von Helene Lange, dem Wohnhaus von Willa Thorade und zugleich Versammlungsort des „Vaterländischen Frauenvereins“, der Friedenssäule, der Gedenkwand in der Peterstraße und der Synagoge. Es sind Orte dabei, die einen Teil der Oldenburger Stadtgeschichte in anderem Licht erscheinen lassen und für manche Teilnehmer/innen des Audiowalks überraschen. Augenzeugen kommen in den Erinnerungen ebenso zu Wort wie auch die Politikerin und Autorin Jutta Ditfurth, die aus ihrer Biografie über die Oldenburgerin Ulrike Meinhof zitiert und deren Mutter erwähnt, die als Sekretärin an der Cäcilienschule gearbeitet hat. Warum ist Ulrike Meinhof nicht auf dem Wandbild zu sehen, wird die Frage in dem Audiowalk gestellt.
„Zukunftsmusik“ – Prädikat: Wertvoll
„Zukunftsmusik – Wir werden uns erinner haben“ ist alles andere als ein trockener Geschichtsrundgang durch die Stadt. Dem Kreativteam mit Katharina Pelosi, Anai Dittrich. Annika Müller und Verena Katz ist es auf bemerkenswerte Weise gelungen, einen differenzierten Zugang zu Themen der Stadtgeschichte und die Art ihrer Erinnerung zu schaffen ohne dabei den Zeigefinger zu erheben. Es geht ihnen vielmehr um eine Erinnerungskultur, die Fragen stellen darf und muss und die Geschichte der Stadt mit der Gegenwart und der Zukunft für die kommenden Generationen in Verbindung bringt.
Dramaturgisch, inhaltlich und technisch überzeugt die Sparte 7 mit dieser Arbeit wieder einmal auf ganzer Ebene. Prädikat: Wertvoll

Erinnern in der Vergangenheit und der Zukunft bedeutet beim Audiowalk „Zukunftsmusik – Wir werden uns erinnert haben“ auch Fragen und Gedanken zu Edith Ruß und Erna Schlüter.
Foto: Volker Schulze
Hintergrund:
Das Oldenburgische Staatstheater teilt in Bezug auf die Vergangenheit von Erna Schlüter auf seiner Website folgendes mit: „Jüngst hat die taz nord einen Artikel über die Rolle von Erna Schlüter im Nationalsozialismus veröffentlicht. Die vom Institut für Musik der Uni Oldenburg verfasste und vom Isensee Verlag herausgegebene Biografie beleuchtet ihr Wirken in der Zeit des Nationalsozialismus nicht ausreichend. Aus diesem Grund gibt die Stadt Oldenburg ein unabhängiges, historisches Gutachten in Auftrag, um diesem Thema mit Transparenz und wissenschaftlicher Genauigkeit zu begegnen. Das Gutachten untersucht insbesondere auch die Tätigkeit von Edith Ruß, Namensgeberin des Edith-Russ-Hauses, und wird voraussichtlich 2025 veröffentlicht.“
Information:
Die nächsten Termine sind der 14., 18., 19., 20. und 21. Juni, jeweils um 17 Uhr.
Weitere Informationen und Karten sind online erhältlich unter www.staatstheater.de und telefonisch unter 0441 / 2225-111.
1 Kommentar
Gings nicht auch um den Verleger Unseld, der ebenfalls 1942 der NSDAP „beigetreten“ ist? Wie sowas wohl kommt, in einer agressiven Diktatur, in der bestimmte Berufe kaum durchführbar sind, wenn man der Aufforderung nicht nachkommt? Ich warte mal ab, wann es in Deutschland wieder heißen wird „Friß oder stirb“. Kann ja nicht mehr lange dauern bei dem Personal aus der Gosse.