Oldenburg

Precht: Moralische Appelle sind sinnlos

Prof. Dr. Richard David Precht in Oldenburg.

Bei wechselhaften Aprilwetter wurde in Oldenburg gedreht.
Foto: Thorsten Ritzmann

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Oldenburg/zb – Das Thema „Moral“ feiert Konjunktur. Ständig wird an die Moral appelliert, immer mehr Menschen fordern sie ein, doch tatsächlich ist niemand zu Moral verpflichtet. Was es mit der Moral auf sich hat, darüber ließ sich der Philosoph Prof. Dr. Richard David Precht als Gastreferent beim Verbandstag des Genossenschaftsverbandes Weser-Ems aus.

„Moralisierende Reden kennen sie“, begann Precht und sprach von einer „Aufregungsdemokratie“. „Alle klatschen, weil sie sich nicht angesprochen fühlen. Beim Appell an die Menschheit handelt es sich nur um heiße Luft“, brachte er es auf den Punkt. Menschen sollen vernünftiger werden, doch sind die Vernünftigen die besseren Menschen, fragte er und zog den logischen Schluss, dass das dann nur die Intelligenten wären. „Allerdings ist es falsch, Vernunft und Moral miteinander zu verknüpfen“, machte er deutlich.

„Der Mensch ist nicht von Natur aus gut“, stellte er klar und berichtete von verschiedenen Forschungen, die das einwandfrei belegen. „Unsere Werte sind nicht absolut, wir lügen, weil es sonst nicht geht.“ Also verlässt der Mensch mal mehr, mal weniger den moralischen Pfad. „Unsere berufliche Zukunft, private Beziehungen alles wäre sonst kaputt, wenn wir immer ehrlich sein würden. Alle moralischen Werte gelten also nur relativ, weshalb Appelle sinnlos sind.“

„Der Mensch besitzt auch keinen angeborenen Sinn für Fairness, er weiß nur, wann er unfair behandelt wird“, sagte Precht. So berichtete er von einem Versuch mit zwei Affen, die durch eine Glasscheibe getrennt sind. Forscher werfen ihnen Chips in den Käfig, die sie aufheben und zurück geben sollen. Tun sie das, werden sie mit Gurken und Weintrauben belohnt, wobei Affen Weintrauben klar bevorzugen. Irgendwann wird ein Affe nur noch mit Weintrauben und der andere nur mit Gurken belohnt. Das registriert der benachteiligte Affe sehr genau, reagiert aber erst, als in der dritten Versuchsstufe der Kontrahent ohne was zu tun mit Weintrauben gefüttert wird und er weiterhin Gurken erhält. Daraufhin nimmt er die Gurken und wirft sie gezielt auf die Forscher.

Fairness müssen wir hingegen lernen. Das geschieht zwischen dem dritten und achten Lebensjahr, haben Wissenschaftler herausgefunden. Ob wir sie lernen, hängt von unserem Umfeld ab. Lernen wir sie nicht, kann das später kaum nachgeholt werden. „Der Mensch passt seine Moral seinem Umfeld an. Gibt es keine Moral, entwickeln wir sie auch nicht“, klärte Precht auf. „Sechs bis sieben Prozent der Bevölkerung ist moralisch gesehen komplett abgehängt“, machte Precht deutlich. „Sie erlangen Anerkennung über eine Schlägerei oder ähnlich gelagerte Taten.“

Deshalb forderte er seine Zuhörer eindringlich auf, sich als Mentor zu betätigen. „Helfen sie Kindern, indem sie in die Schulen gehen, damit sie Fairness erlernen können. Das kostet sie zwei Stunden Zeit in der Woche.“ Er selbst engagiert sich diesbezüglich und ist Schirmherr des Bundesverbandes Mentor. „Ich unterstütze die Arbeit, weil man durch niemanden so gut lernt wie durch ein Vorbild – durch einen Menschen, der einen ernst nimmt und sich um einen kümmert“, erklärte er.

Genossenschaften bezeichnet er als Träger von Moral und Kultur. Sie seien solidarisch und verantwortlich, weil bei ihnen Gewinnstreben bei Teilhabe für jeden im Mittelpunkt stehe. „Genossenschaften sind das ethisch saubere Modell gegenüber Privatbanken.“ Er hält sie für das Zukunftsmodell, weil sie Beteiligungsdemokratie praktizieren im Gegensatz zu Parteien, weshalb sie immer mehr an Akzeptanz verlieren würden.

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