Frauen haben das Friseurhandwerk erobert
Perfekt sitzt die Hochsteckfrisur, die diese Meisterschülerin unmittelbar vor ihrer Prüfung übt.
Foto: Katrin Zempel-Bley
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Oldenburg/zb – Mozart und Rossini widmeten den Friseuren große Musikwerke. Wer kennt sie nicht, die Hochzeit des Figaros und den Barbier von Sevilla. Anfangs nannten sie sich Bader, später Barbiere, schließlich Friseure und heute gern auch Hair-Stylisten. Bader kümmerten sich nicht nur um die Frisur, sie zogen auch Zähne und nahmen kleinere chirurgische Eingriffe vor und sorgten für die Rasur. Dabei steckten sie den zahnlosen Kunden einen Löffel in den Mund, damit sich die Wange wölbte und sie besser rasieren konnten. Deshalb spricht der Volksmund bis heute von jenem, der über den Löffel barbiert wird.
Um 1650 gab es die ersten Friseure, die ausschließlich für Haarpflege zuständig waren. Ihre Blütezeit begann mit Ludwig dem XIV, der auf sogenannten Allongeperücken stand, jenen langlockigen Perücken für Herren. Sie waren Ausdruck von Macht und Status und wurden im Verlauf der Zeit immer lockiger und länger. Von solch einem Modetrend können die Friseure heute nur träumen. Ihre damaligen Kollegen hatten nicht nur alle Hände voll zu tun, sie verdienten auch gut. Zumal die Damen nachzogen. Sie bevorzugten opulente Hochfrisuren mit Bändern und Schleifen verziert. Doch wenige Jahre nach Ludwigs Tod wurde auch dieser Trend begraben.
Um 1765 gründete Legros eine Akademie für junge Friseure in Paris und gab ein Lehrbuch für seine Zunft heraus. Er forderte, die Frisur dem Typ anzupassen, weshalb er als Frisurenschöpfer galt. Gut 100 Jahre später wurde Wasserstoffperoxyd entdeckt, um Haare zu bleichen. Schließlich wurden Haare onduliert und Anfang des 20. Jahrhunderts die Dauerwelle geboren.
Bis dahin war der Friseurberuf eine reine Männerdomäne. Mit dem Ersten Weltkrieg änderte sich das. Langsam aber sicher eroberten Frauen Haar- und Modellierschere, Haarschneidemaschine und Effiliermesser. Zwar wurden die Salons überwiegend von Männern geführt, doch auch das ist inzwischen Geschichte. Denn der Frauenanteil im Friseurhandwerk beträgt inzwischen über 90 Prozent.
In den 1950er Jahren entdeckten die Frauen die Haarfärberei, die bis heute stark nachgefragt ist. Allerdings haben sich die Produkte geradezu revolutioniert. Und viele erinnern sich sicherlich noch an die ersten Fönfrisuren in den 1960er Jahren. Zehn Jahre später sorgte der Engländer Vidal Sasson für den Systemformhaarschnitt, der bis heute die Grundlage der handwerklichen und künstlerischen Arbeit der Friseure ist. Langsam aber sicher bahnten sich Alternativen zur Dauerwelle ihren Weg.
„Friseure sind Typ- und Trendberater, Kreative, Handwerker und Unternehmer in einer Person“, umschreibt Ulf Pingel, stellvertretender Leiter der Friseur-Meisterschule in Oldenburg und Beauftragter für Qualitätsmanagement. „Neben einer fundierten Ausbildung müssen sie genau zuhören, um die Wünsche ihrer Kunden richtig umzusetzen, eine angenehme Ausstrahlung haben und über kommunikative Fähigkeiten verfügen. Denn schließlich vertrauen fremde Menschen unserer Zunft ihre Haare an“, gibt Ulf Pingel zu bedenken. „Haare spielen vor allem für Frauen eine ganz besondere Rolle. Es ist fast eine intime Tätigkeit, die am Ende dazu dient, die Persönlichkeit eines Menschen auch durch die Frisur zum Ausdruck zu bringen. All das zusammen macht die Friseurkunst aus. Und die wird fast überall unterschätzt“, bedauert Ulf Pingel.
Neben Waschen, Schneiden und Föhnen färben sie Haare, Wimpern, Augenbrauen, tönen oder verhelfen einer Haarpracht zu Strähnen. Sie kennen sich aus mit Lock- und Wasserwellwicklern, mit Dauer-, Kalt- und Volumenwelle, sie können den Haarzustand beurteilen und ihn mittels Haarkuren verbessern, sie kreieren die tollsten Gala- und Hochsteckfrisuren, beherrschen Haarverlängerung und -verdichtung, zupfen Augenbrauen, verschönern Fingernägel und sind Profis im Bereich Gesichtskosmetik, was mittlerweile Bestandteil der Ausbildung ist. Kurzum: sie sind Beautyprofis.
„Das Friseurhandwerk, mit seinen bundesweit rund 261.000 Friseurinnen und Friseuren, gehört zu den personalintensiven Branchen im Handwerk“, berichtet Ulf Pingel. „Ihre Dienstleistung ist nicht standardisiert. Jeder Kopf ist schließlich anders, weshalb eine kundengerechte individualisierte Dienstleistung erbracht werden muss“, macht der Friseurmeister und studierte Betriebswirt deutlich. Somit ist der Beruf anspruchsvoll, abwechslungsreich und kreativ, aber er erfordert auch körperliche Fitness, eine Menge Disziplin, Ausdauer und ein sehr gutes Gespür für Menschen. Denn die Kunden haben in der Regel eine hohe Erwartung und möchten zudem verwöhnt und verstanden werden.
Die jungen Frauen des Meisterkurses sind entsprechend motiviert. Die Prüfung naht und bis dahin muss u.a. die komplizierte Hochsteckfrisur perfekt beherrscht werden. Sie kommen aus ganz Deutschland, um in Oldenburg die Meisterschule zu besuchen. Der gute Ruf ist weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Trotz der bevorstehenden Meisterprüfung, die ihnen eine Menge an Theorie und Praxis abverlangt, ist die Stimmung sehr gut.
Die Frauen können nicht nur mit Kamm und Schere geschickt umgehen sowie föhnen, färben und beraten, sie haben zudem sehr viel gelernt über den Aufbau und die Organisation eines Ausbildungsbetriebes, kennen sich aus mit Arbeits- und Tarifrecht, Arbeits-, Umwelt- und Gesundheitsschutz, Arbeitssicherheit, rationelle Energieverwendung und dem Bedienen von Maschinen, Geräten und Werkzeugen. Marketing und EDV sind ihnen ebenso vertraut wie Werbung, Produktverkauf, das Kundengespräch oder Personalmanagement. Wissen, das sie benötigen, um im Wettbewerb der Meister bestehen zu können.
Die Meisterschülerinnen sind Friseurinnen aus Leidenschaft und mit Herzblut dabei. Ihr Ziel: endlich den Meisterbrief in der Tasche zu haben und sich damit neue Berufsperspektiven zu eröffnen. Einige werden künftig als Angestellte einen Salon leiten oder in die Selbstständigkeit gehen. Andere liebäugeln auch mit einem Studium, so wie Ulf Pingel es ihnen vorgemacht hat. Schließlich werden auch Dozenten gesucht. Oder die berufliche Reise geht direkt in ein großes Unternehmen, das Friseur- und Kosmetikprodukte herstellt.
Friseure müssen am Puls der Zeit sein, Trends kennen und schaffen, nicht den eigenen Vorlieben frönen, sondern auf den Kunden eingehen, der es mal klassisch-elegant und dann wieder modern avantgardistisch bevorzugt – passend zu Typ und Anlass. Stimmt der Schnitt kommt es auf die richtigen Stylingtechniken und -produkte an, die die Friseure ebenfalls kennen müssen. „Das ist sozusagen der letzte Schliff. Hier zeigt sich der wahre Profi“, weiß Ulf Pingel.
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