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Kommentar: Basta war gestern

PD-Parteichef Sigmar Gabriel.

SPD-Parteichef Sigmar Gabriel.
Foto: Anja Michaeli

Manch einer wird sich die Augen gerieben haben, nachdem SPD-Parteichef Sigmar Gabriel auf dem niedersächsischen SPD-Parteitag Mitte April in Braunschweig erklärt hat: „Wir müssen die Schutzmacht der kleinen Leute sein.“ Dieser plötzliche Sinneswandel hängt mit den dramatischen Umfragewerten der Sozialdemokraten zusammen, die mittlerweile bei 20 Prozent angekommen sind. Wer geglaubt oder gar gehofft hat, es handele sich bei diesem Ausspruch um Einsicht oder gar Selbsterkenntnis, der wurde schwer enttäuscht. Denn Sündenbock für das SPD-Desaster will der Parteichef, der schließlich die inhaltliche Richtung vorgibt, nicht sein. Vielmehr droht er kritischen Genossen gern mit Rücktritt.

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Ein beliebtes Prinzip des Basta-Mannes, der seine Drohungen aber nie wahr macht. Umgekehrt gibt es in dieser Partei offenbar niemanden, der den Mut hat, ihn darin zu bestärken. Vielmehr scheinen viele die heimliche Hoffnung zu haben, das Thema Gabriel erledigt sich spätestens nach der Bundestagswahl. Die Genossen, das wird immer deutlicher, wollen offenbar keine Bundestagswahl mehr gewinnen. Sie schicken einen Kanzlerkandidaten nach dem nächsten ins Rennen, um sie zu verbrennen. So kann sich eine Partei zwar von Personen befreien, aber niemals wieder eine starke politische Kraft werden.

Basta-Typen, das müsste doch auch der SPD langsam auffallen, sind Auslaufmodelle. Die möchten viele weder in persönlichen noch in beruflichen Beziehungen haben. Der Beweis ist Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie präsentiert sich dem Wahlvolk als vollkommen normale Frau frei von jeglichen Allüren. Eitelkeiten liegen ihr ebenso fern wie besonderes Aufsehen erregen. Dass sie auch anders kann, wissen wir. Immerhin hat sie manch einen Mann aus ihrem politischen Umfeld mit ihrer lautlosen aber wirkungsvollen Art entfernt. Aber eben nicht mit der Basta-Methode.

Es ist schon bedenklich, wenn sich eine Partei wie die SPD erst anhand ihrer katastrophalen Umfragewerte daran erinnert, wofür sie mal gestanden hat. Fakt ist, dass die SPD einst Gerhard Schröder und seiner Agenda zustimmte und dafür bis heute die Quittung bekommt. Eben auch von jenen Menschen, die die SPD jetzt wiederentdecken will. Profiteur der Agenda war die CDU unter Angela Merkel, die jahrelang die Früchte geerntet hat. Überall ist Kasse gemacht worden, aber nicht bei jenen, die die SPD gerne als „die kleinen Leute“ bezeichnet.

Und dann gibt es noch Wähler, die zwar nicht zu dieser Gruppe zählen, aber dennoch in der SPD ihre Heimat gefunden haben, sich mittlerweile politisch heimatlos fühlen oder ihr den Rücken zugewendet haben, weil die SPD ihre eigenen Werte verraten hat, nach der Wirtschaft schielt und viel zu wenig für die Umwelt getan hat. Zudem hat sie sich als Juniorpartner in der großen Koalition mit CDU/CSU verschlissen. Ein Profil, das heute von jedem Azubi verlangt wird, ist bei den Sozialdemokraten auf Bundesebene nicht mehr zu erkennen.

Rentnerarmut haben wir der SPD und ihrer Agenda zu verdanken. Sie hat auch nicht verhindert, dass die Deutschen im Vergleich zu anderen Industriestaaten mit die höchsten Steuern und Abgaben zahlen. Selbst als die Wirtschaft nur so boomte, sind die Menschen mit geringen oder mittleren Einkünften steuerlich nicht entlastet worden. Über eine veränderte Erbschaftssteuer wird weiterhin gedoktert. Zur gefährlichen Politik des EZB-Präsidenten Mario Draghi schweigt sie, obwohl sie die „kleinen Leute“ noch ärmer macht als sie es ohnehin schon sind. Und schließlich ist sich Sigmar Gabriel nicht zu schade dafür, den ägyptischen Machthaber al-Sisi trotz massiver Menschenrechtsverstöße zu würdigen.

Es wird höchste Zeit, dass die Partei keine Kompromisse mehr eingeht und stattdessen klar vermittelt, wofür sie steht. Es geht um ihr Profil und damit um ihre Glaubwürdigkeit und ebenso um ihre Personalpolitik. Denn wer glaubt, die Menschen würden nur nach ihrer politischen Überzeugung wählen, der irrt. Die zur Wahl stehenden Personen spielen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Ein Frau wie Ministerpräsidentin Malu Dreyer erobert die Herzen und den Verstand vieler Wähler eben auch mit ihrer Art, die von basta jedoch weit entfernt ist.

Ein Kommentar von Katrin Zempel-Bley.

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