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Kommentar: Demokratie ist ein ständiger Prozess

Die barbarischen Attentate von Paris mit 17 Toten waren ein Frontalangriff gegen die Pressefreiheit und haben Millionen Menschen auf die Straße getrieben. Sie alle halten die Pressefreiheit für ein hohes und unverzichtbares Gut, das verteidigt werden muss.

Gegen Gewalt.
Foto: Moritz Rothacker / pixelio.de

Die barbarischen Attentate von Paris mit 17 Toten waren ein Frontalangriff gegen die Pressefreiheit und haben Millionen Menschen auf die Straße getrieben. Sie alle halten die Pressefreiheit für ein hohes und unverzichtbares Gut, das verteidigt werden muss. Denn nur durch sie sind Menschen überhaupt in der Lage, sich umfassend zu informieren, und somit stellt die Pressefreiheit vor allem auch Schutz für jeden Einzelnen dar.

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Umso unverständlicher ist deshalb der Ruf nach einer Vorratsdatenspeicherung, wie Finanzminister Wolfgang Schäuble sie gleich nach den Anschlägen forderte. Mit ihr, so argumentierte er, könnten Anschläge wie in Paris verhindert werden. Das stimmt nicht, denn die Franzosen betreiben eine solche Überwachung und haben offenbar nichts von einem geplanten Anschlag gewusst oder geahnt. Doch wie verträgt sich eine totale Datenüberwachung mit der soeben hochgelobten Pressefreiheit? Eine Datenvorratsspeicherung bedeutet schließlich auch die totale Überwachung von Journalisten.

Und wie verträgt sich der Ruf nach Pressefreiheit, wenn in Paris unter den Regierenden in der ersten Reihe der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu mitläuft? In der Türkei werden kritische Journalisten massiv verfolgt, eingesperrt und mit Berufsverboten belegt. Es ist nicht einfach mit der Pressefreiheit. So lange man nicht selbst aufs Korn genommen wird, wird die Pressefreiheit hoch gehalten. Sobald die Presse kritisch mit jemandem oder einer Sache ins Gericht geht, sieht es schon anders aus. Fakt ist, dass viele Journalisten in ihrem Alltag immer wieder spüren, wie an der Pressefreiheit gegraben wird, wie von außen mitunter ganz ungeniert versucht wird, Einfluss zu nehmen und zwar auf allen Ebenen.

Man muss schon durch und durch Demokrat sein, um Pressefreiheit zu mögen und aushalten zu können. Aber Demokratie saugen wir nicht mit der Muttermilch auf, sie muss erlernt werden. Da stellt sich die Frage, wer sich dafür zuständig fühlt. Ganz sicher gibt es Elternhäuser, in denen Demokratie vermittelt wird. Aber längst nicht überall. Deshalb sind Lehrer aber auch Verantwortliche in Vereinen und Organisationen gefordert, Demokratie in allen ihren Facetten bewusst zu vermitteln, damit Kinder sie als Erwachsene leben und verteidigen zu können, weil es sich lohnt, um sie zu kämpfen.

Mitunter gewinnt man den Eindruck, dass viele unsere Demokratie für selbstverständlich, für einen Selbstläufer halten. Das ist, wie die Attentate von Paris zeigen, ein Irrtum. Es gibt Andersdenkende, die von muslimischen Hasspredigern in europäischen Ländern oder ihren Herkunftsländern radikalisiert worden sind und nicht davor zurückschrecken, für ihre Ideologie willkürlich Menschen zu ermorden. So war es in New York, in Madrid und London, so ist es in Nigeria durch Boko Haram, in Syrien durch die Kämpfer für den Islamischen Staat und aktuell in Paris.

Umso unverständlicher ist deshalb der von Ex-Bundespräsident Christian Wulff gesagte und vollkommen undifferenzierte Satz „Der Islam gehört zu Deutschland“, den Bundeskanzlerin Angela Merkel unreflektiert übernommen hat. Denn nicht der Islam sondern bei uns lebende Muslime gehören zu Deutschland. Das ist ein fundamentaler Unterschied. Deshalb reicht es auch nicht aus, wenn sich muslimische Verbände von Gewalttätern wie in Paris distanzieren.

Sie müssen sich viel stärker als bisher geschehen aktiv in das tägliche Leben einmischen und klar zum Ausdruck bringen, dass sie die Demokratie – und die beinhaltet zum Beispiel Pressefreiheit und Gleichheit zwischen den Geschlechtern – wollen, für sie einstehen und alles unternehmen werden, damit nicht weiter im Namen ihrer Religion Menschen getötet werden. Erst dann können Vorurteile zwischen Christen, Juden und Muslimen abgebaut werden, die es zweifelsfrei massenhaft in unserer Gesellschaft gibt, die zugedeckt wurden und leider erst intensiv und tiefgründig diskutiert werden, nachdem in Paris 17 Menschen auf nicht zu fassende Weise buchstäblich ausgelöscht wurden.

Ein Kommentar von Katrin Zempel-Bley.

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